Shutdown
er sie jemals zu irgendeiner Verrichtung ausziehen. Er stank wie der Schafbock ihrer Nachbarn in Parlier, abgesehen vom Modergeruch. Freundlich lächelnd streichelte er seinen roten Bart und wartete auf ihre Antwort.
»Wie bitte?«, fragte sie verwirrt.
»Ordnung muss sein.«
Der Arbeiter am Nebentisch las ungerührt weiter in seiner ›Sun‹. Entweder kannte er den seltsamen Vogel allzu gut oder er wollte ihn nicht kennen. Sie beschloss, ihn einfach zu ignorieren.
»Ich sorge für Ordnung. Einer muss es tun.«
Sie hielt demonstrativ nach Mike Ausschau. Ein schwarzes Taxi rollte heran. Zwei Geschäftsleute stiegen aus. Kein Mike. Der Arbeiter aus dem Zug gesellte sich zu seinem Kollegen nebenan. Endlich schlenderte der Rothaarige weiter. Er grüßte die Bahnarbeiter mit Kusshand, dann rannte er plötzlich los und verschwand in der Station. Verblüfft griff sie wieder nach dem Telefon, doch es lag nicht mehr auf dem Tisch.
»He, der Kerl hat mein Handy!«, rief sie erschrocken.
Sie sprang auf und jagte dem falschen Alten hinterher. Wütend blickte sie sich um, da entdeckte sie die rote Mähne auf der Überführung. In großen Sprüngen hetzte sie die Treppe hinauf, über die Gleise, hinunter zur Insel. Dort konnte er nicht entkommen, dachte sie.
»He, Arschloch!«, rief sie, während sie den leeren Bahnsteig nach ihm absuchte.
Sie blickte hinter jeden Pfosten, jeden Abfalleimer, wanderte mehrmals die ganze Insel hinauf und hinunter. Der Ordnungsliebhaber blieb verschwunden.
»Das gibt's doch nicht«, knurrte sie frustriert. »Wer bist du? Der verdammte Harry Potter oder was?«
Wütend stieß sie eine Bierbüchse unter den Treppenabsatz.
»Suchst du mich?«, rief Mikes Stimme von oben.
»Der Scheißkerl hat mein Handy geklaut.«
Mike stieg zu ihr herunter und begrüßte sie mit Handzeichen und einer angedeuteten Verbeugung, wie er es in der Fabrik getan hatte.
»Du bist früher da als erwartet.«
»Wir hatten Rückenwind. Hast du einen stinkenden Rotschopf gesehen?«
»Der Pfundleiher!«, lachte er. »Nein, der ist mir nicht begegnet.«
»Pfandleiher ist der?«
Mike schüttelte den Kopf. »Pfundleiher mit u, nicht Pfandleiher. Ich nenne ihn so, weil er sich ab und zu, ziemlich häufig, ein Pfund von mir ausleiht, wie er sagt. Ich habe noch keines wiedergesehen.«
»Wundert mich nicht. Der Idiot ist mit meinem Handy verschwunden. Ich war ihm auf den Fersen hierher, dann hat er sich in Luft aufgelöst. Hokuspokus, puff, einfach so!«
Mike musterte sie, als hätte sie getrunken. »Das ist unmöglich«, murmelte er, während er sich umsah.
»Vielen Dank für den Hinweis.«
»Hier von der Plattform ist er verschwunden?«
»Sage ich doch.«
Mike überlegte. Plötzlich hellte sich seine Miene auf. »Ich habe mich schon gefragt, wo der Kerl herkommt.« Er gab ihr ein Zeichen, ihm zu folgen. »Wir werden dem Pfundleiher einen Besuch abstatten.«
Am Ende des Bahnsteigs stand die übliche Warntafel. Ein Bretterverschlag markierte das Ende der Bahnstrecke, doch die Schienen führten weiter in einen Tunnel hinein, den sie vorher nicht beachtet hatte.
»Ein Überrest der Northern Heights line«, bemerkte Mike, als sie das dunkle Loch betraten. »Vor dem Krieg wollte man die Bahnlinie bis nach Bushey Heaths verlängern. Dank den Nazis gibt es jetzt nur ein Naturschutzgebiet statt weiterer Siedlungen in der Gegend. Da braucht’s keine Tube.«
Jen blieb stehen. Sie hielt schnuppernd die Nase in die Luft, dann deutete sie auf die Nische, an der sie eben vorbeigegangen waren.
»Hier muss er sein. Ich kann ihn riechen.«
»Da ist nichts.«
Er benutzte sein Telefon als Taschenlampe. Im fahlen Lichtschein erkannten sie eine grob aus Latten und Plastikfetzen gezimmerte Tür zu einem Nebenraum, der vielleicht einst als Technikraum gedacht war.
»Greg, du brauchst dich nicht zu verstecken. Ich weiß, dass du da bist«, sagte Mike.
Der Pfundleiher besaß also doch einen richtigen Namen. Sie mussten ein paar Sekunden warten, dann flammte ein Licht auf. Der Schein einer Gaslampe erhellte den engen Raum hinter dem Verschlag. Er bot kaum mehr Platz, als die Pritsche benötigte. Die Rückwand zierte ein Regal aus Backsteinen und Latten, wie sie auf Baustellen benutzt werden. Darauf lagerten sauber geordnete Stapel und Schachteln mit Werkzeugen, Schrauben, Nägeln, Kabeln, Drähten, Taschenlampen, Batterien, Schlüssel, Geldbeutel und Telefonen.
»Ordnung ist wichtig«, murmelte der Rothaarige.
Er saß auf der
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