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Shutdown

Shutdown

Titel: Shutdown Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hansjörg Anderegg
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mehr. Sobald sie sicher waren, nicht beobachtet zu werden, rannten sie los, die Treppe hinauf, den Weg zurück, den sie gekommen waren. Erst in der Lobby verfielen sie wieder in normales Schritttempo. Beide holten tief Luft. Sie vermieden jeden Blickkontakt, bis ihr Atem sich beruhigte. Dann brach es aus ihnen heraus. Sie lachten so hemmungslos, dass keine einen verständlichen Satz zustande brachte, bis sie im Auto saßen.
    »Eine Scheiß Angst hast du mir eingejagt«, keuchte Jen, wobei sie grinste wie nach der ersten Spritztour mit T-Rex.
    »Du kannst ja doch sprechen«, platzte Linda heraus.
    Die kurze Konversation endete in einem neuen Lachanfall. Linda fuhr los. Das Stata Center lag weit hinter ihnen, als Jen die erste ernsthafte Frage stellte:
    »Hast du es geschafft?«
    Linda nickte. »Der Aasfresser funktioniert. Bis die Feds den richtigen Server gefunden haben, wird kein Bit mehr auf uns hinweisen.«
    »Du hast ein Löschprogramm installiert?«
    »War schon immer auf dem Server. Ich musste es nur aktivieren. Ich werde doch keinen illegalen Proxyserver betreiben ohne Lebensversicherung.«
    Auch von Linda konnte sie noch einiges lernen, dachte Jen lächelnd.
    »Ich frage mich die ganze Zeit, woher das FBI die IP–Adresse hat«, sinnierte Linda weiter.
    »Vielleicht haben die ›Black Hats‹ den DNS Leak entdeckt und einen Tipp gegeben. Als Retourkutsche für unsern Enthüllungsbericht.«
    »Möglich. Wir sind ihnen zu sehr auf die Pelle gerückt. Quid pro quo.«
    »Wie bitte?«
    »Retourkutsche.«
    »Sage ich doch.«
    Jens Blick wanderte übers Wasser zu Bostons Lichterkette. Es war wohl einer der letzten Eindrücke, die sie von dieser Stadt mitnehmen würde.
    »Die Fabrik ist jetzt endgültig Geschichte«, sagte sie nachdenklich.
    Die Feststellung schockierte sie nicht mehr. Das alte Leben war zu Ende. Damit hatte sie sich schon vorher abgefunden. Linda fuhr schweigend weiter. Es gab nichts zu besprechen.
     
    Edgware, London, UK
     
    Die Stimme drang nur undeutlich in Jens Bewusstsein.
    »Madam – Edgware – Endstation. Sie müssen hier aussteigen.«
    Sie blinzelte den Bahnarbeiter verwirrt an, dann schoss sie hoch, als wäre die harte Bank der Tube ein Schleudersitz. Von Panik ergriffen tastete sie nach der Computertasche, suchte das Handy, die Geldbörse. Alles war noch da, unversehrt. Vom Bärtigen, der sie seit Euston von schräg gegenüber heimlich beobachtet hatte, fehlte jede Spur. Der Angestellte blickte ihr verständnislos nach, bis sie den Wagen verlassen hatte.
    So etwas durfte nicht geschehen. Wie leicht hätte sie den Laptop und vor allem ›Titan‹ verlieren können. Ihr ganzes Leben wäre auf einen Schlag weg gewesen, sie zum Zombie mutiert. Untot, ein Gespenst ohne Geschichte und Zukunft. Sie hatte die Macht des Jetlags unterschätzt. Reisen würde sich kaum je zu einer Leidenschaft entwickeln. Der Seesack wartete in der Gepäckaufbewahrung am Flughafen, denn sie beabsichtigte, keine Minute länger in Europa zu bleiben, als unbedingt nötig zur Entschlüsselung der Tate-Dateien.
    Kommunizieren war mühsam und gefährlich geworden seit dem Verlust ihres Servers. Auch mit Lindas Hilfe gelang ihr nur schwer, mit Mike Kontakt aufzunehmen. Er wusste nicht, wo Emma sich aufhielt, oder wie sie zu erreichen war. Aber in seiner Wohngemeinschaft gab es einen zweiten Turing, der nach Mikes Behauptung jeden Code knackte wie seinerzeit Alan Turing die Depeschen der Nazis. Mike beschrieb ihn als absolut vertrauenswürdig, weil er mit seinem Asperger Syndrom ohnehin kaum je mit jemandem sprach. Das war Mikes gute Nachricht. Deshalb kämpfte sie jetzt an Londons nördlichem Zipfel gegen den Jetlag. Düstere Regenwolken zogen auf, als sie zwischen den falschen römischen Säulen der Edgware Station ins Freie trat. Sie lächelte dankbar für das willkommene Dämmerlicht. Der Kiosk, den Mike als Treffpunkt beschrieben hatte, befand sich unmittelbar neben dem Ausgang. Ein Bahnarbeiter in roter Weste saß am ersten kleinen Plastiktisch beim Tee und las Zeitung. Mike war nirgends zu sehen. Sie kaufte ein Wasser und setzte sich an den Nebentisch.
    »Alles an seinen Platz«, sagte eine heisere Stimme neben ihr.
    Sie blickte erschrocken von ihrem Handy auf. Das zerfurchte Gesicht des Mannes deutete auf ein hohes Alter hin, wollte aber nicht zum drahtigen, sportlichen Körper passen. Seine Füße steckten in Gummistiefeln, die einst gelb gewesen waren. Die fleckigen Latzhosen sahen nicht danach aus, als würde

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