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Sibirisches Roulette

Sibirisches Roulette

Titel: Sibirisches Roulette Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Dunkelheit kann ihn nicht schützen; heller Tag ist's. Noch nie hat ein Masuk an einem Ziel vorbeigeschossen.
    Den Wald erreichte er, den heimlichen Pfad … Jugorow war für ihn schon tot, und deshalb pfiff er leise ein lustiges Lied.
    Trofimow, der Fischer und Jäger, war am Fluß und suchte seine Reusen ab. Noch war es eine Freude, zu fischen: Der Fluß hatte einen guten Bestand, die Netze waren immer voll, ja sogar wählerisch konnte man sein und die kleinen Fische zurück ins Wasser werfen, wobei Trofimow ihnen fröhlich nachrief: »An Kinderchen vergreif ich mich nicht. Bei euch ist's anders als bei den Menschen. Da sind Großmütterchen und Großväterchen am saftigsten …«
    Später, in sechs Wochen etwa, wenn über dem Fluß eine dicke Eisdecke lag, war's mühsamer, an einen Fisch zu kommen. Löcher mußte man dann in das Eis schlagen, Fäden mit Haken und Köder auswerfen, auf einem Fell vor dem Loch knien und warten, bis es an dem Faden rupfte, und wenn's dann ein junger Fisch war, nahm man auch den mit, dankbar dafür, daß das Eisloch nicht umsonst geschlagen worden war.
    Ein schönes Leben hat ein Fischer am Tobol, solange die Sonne scheint – und solang man ihn fischen läßt und keinen Kanal baut, der dieses Paradies zerstört, den Fischen und den Menschen ihre Heimat nimmt, den Lebensraum, die freie Luft.
    Über alles das hatte Trofimow lange nachgedacht, in stillen Nächten winters auf dem Ofen, im Sommer auf seinem harten, mit Heu und Häcksel gefüllten Bett. Auch wenn die Leute von Lebedewka ihn ansahen wie eine Riesenwanze, sein Haus seit Generationen verwunschen nannten und jedem aus der Sippe Trofimow ihre Verachtung zu erkennen gaben: Einig war er sich mit allen anderen, daß der Kanal nie entstehen durfte. Der See sollte verschwinden. Geologen, die vor über einem Jahr hier vorbeigezogen waren, hatten ihm gesagt, sein Haus stünde genau im Weg und müsse bald abgerissen werden. Und als er sie fragte: »Genossen, was soll dann werden mit dem Grabmal meiner Ahnen?«, da hatten sie gelacht und geantwortet: »Ertrinken können sie nicht mehr. Eine schöne Platte aus Beton werden sie bekommen.«
    Der das gesagt hatte, der Geologe, verunglückte zwei Tage später auf rätselvolle Weise. Man fand ihn erschlagen von einem Baum, der auf ihn niedergestürzt war, ohne daß ein starker Wind geweht hatte. Trotzdem hielt man es offensichtlich für einen Unglücksfall und begrub den Mann, ohne ihn genau zu untersuchen. Ein guter Arzt hätte sonst festgestellt, daß er tatsächlich erschlagen worden war, nicht jedoch von einem Baum, sondern vom stumpfen Ende einer Axt.
    Seitdem ging Trofimow mit noch finstererer Miene herum, sprach kaum mehr ein Wort mit anderen Menschen, lebte einsam im Schwarzen Haus und liebte nur eins auf dieser Welt: Soja, seine Tochter.
    Ein Hürchen nannten sie die Leute von Lebedewka – was soll's? Er fragte Soja nicht, warum sie so etwas riefen. Er fragte sie auch nicht, woher sie das Motorrad hatte, als sie von Tobolsk zurückkam in das Haus, um nun dazubleiben. Kein Wort verlor er über ihre Kleidung, die kurzen Röcke, die dünnen Blusen, die enganliegenden Pullover, die Schuhe mit den hohen Hacken … Nur manchmal, wenn sie wegfuhr, blickte er ihr durch das Fenster nach und fragte sich, wie das alles enden würde. Starben die Trofimows mit Soja aus? Konnte sie einen Mann in die Sümpfe bringen? Wer, das fragt man sich, war denn gewillt, hier zu leben? So schön sie war, so engelhaft mit ihrem blonden Haar: Schönheit verblüht einmal, aber der Sumpf bleibt. Das überlegt man sich, ehe man Soja ins Schwarze Haus folgt.
    Einer wäre der Richtige gewesen, das hatte Trofimow erkannt. Er zog seine Netze ein und saß dann sinnend am Fluß. Einer ja. Dieser Jugorow. Igor Michailowitsch. Blond wie Soja, stark und mutig, ein schöner Mensch. Ein wunderbares Paar wäre das. Jugorow paßte zu den Trofimows. Er hatte die Kraft, in dieser Wildnis auszuhalten. Aber auch er war gegangen, nach nur einem Tag. Soja selbst hatte ihn weggefahren, und als sie zurückkam, antwortete sie auf seine Frage:
    »Väterchen, er ist nicht zu halten. Ein Adler ist er.«
    Und mehr war mit ihr über Jugorow nicht zu sprechen.
    Am Fluß also war jetzt Trofimow, kontrollierte die Reusen und freute sich über den Fang. Trocknen oder räuchern würde man die Fische. Über würzigem Birkenholz. Dann konnte der Winter kommen. Für Trofimow war noch kein Winter zum Schrecken geworden.
    Soja Gamsatowna befand sich

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