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Sibirisches Roulette

Sibirisches Roulette

Titel: Sibirisches Roulette Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Die Großmutter, die an zwei Stöcken geht, von Gicht gekrümmt … Hierher auf den Dorfplatz wird man sie alle treiben und vor meinen Augen erschießen. Wer kann Nasarow aufhalten? Wer kann auf Erbarmen hoffen bei diesem Menschen aus Stein? Nur in seine Augen braucht man zu sehen … kälter ist nicht einmal der sibirische Winter, dessen Frost die Baumstämme auseinandersprengt.
    Erschießen konnte man den Major selbst. Es wäre möglich gewesen. Er stand vor einem, ungeschützt. Schnell hoch das Gewehr und abgedrückt, keiner könnte es verhindern. Aber dann? Hinterher? Lebedewka in Flammen, alles vernichtet; Männer, Frauen, Kinder und Greise getötet … wer konnte das dann noch aufhalten? Und wo und wie würde das jemals bekannt werden? Und wurde es bekannt, was nutzten die lahmen Proteste? Lebedewka und seine Bewohner gab es dann nicht mehr, und alle Reden machten sie nicht wieder lebendig … So ohnmächtig sind wir, Genossen, so ohnmächtig!
    Mit einem wilden Ruck riß Beljakow sein Jagdgewehr an die Wange. Sein ganzer Körper bebte, und er schrie mit nahezu unmenschlicher Stimme: »Oleg Nikolajewitsch … Gott sei bei dir!« Und dann zog er den Zeigefinger durch, trocken bellte der Schuß auf, der kniende und weinende Kulinitsch wurde nach vorn geschleudert, durchsiebt von der geballten Schrotladung, ein Stöhnen ging durch die herumstehenden Soldaten, einige wandten sich ab und schlugen die Hände vor ihre Augen, und Kulinitsch fiel mit dem Gesicht auf die Erde und war auf der Stelle tot.
    Im gleichen Augenblick warf Beljakow sein Gewehr weit von sich, trat vor Nasarow und spuckte ihm mitten ins Gesicht. Dann riß er sein Hemd vor der Brust auf, warf den Kopf in den Nacken und rief: »Jetzt bist du dran!«
    Den Blick zum Himmel gehoben, wartete Beljakow auf den Schuß. Aber er wartete vergebens. Nasarow steckte seine Pistole in den Gürtel zurück und winkte. Zwei Soldaten mit bleichen, starren Gesichtern schleiften den toten Kulinitsch weg und legten ihn hinter dem Panzer ab. Korolew trat an Beljakows Seite, legte den Arm um seine Schulter und sagte mit lauter Stimme:
    »Hier sind zwei, Genosse Mörder!«
    Nasarow wischte sich die Spucke vom Gesicht, als seien es Regentropfen. Die gröbste Beleidigung, die man einem Russen antun konnte, schien ihn nicht zu treffen. Er machte ein paar Schritte, hob Beljakows Gewehr vom Boden auf und kam damit zu Korolew zurück.
    »Harte Zeiten werden für Lebedewka kommen«, sagte er wieder im Plauderton. »Ein Bewohner des Dorfes, der Bauer Beljakow, hat mit seinem Gewehr den Rotarmisten Kulinitsch getötet, einen tapferen, mutigen Soldaten. Ein wichtiges Beweisstück, das Gewehr, ist in unseren Händen; jede Untersuchungskommission wird bestätigen, daß aus dieser Waffe der tödliche Schuß abgegeben worden ist. Als Kulinitsch erschossen wurde, gab es keine Zeugen; hinterrücks, feige und gemein wurde er umgebracht.« Nasarow klemmte Beljakows Gewehr unter den Arm. »Lebedewka wird es büßen müssen …«
    »Die Wahrheit werde ich hinausschreien!« brüllte Beljakow auf. Wie Korolew begriff auch er jetzt, in welch teuflisches Spiel er hineingezogen worden war.
    »Wer wird dir glauben?« fragte der Major.
    »Mindestens zwanzig Soldaten habe ich als Zeugen.«
    »Nicht einen einzigen! Niemand hat gesehen, wie du den guten Kulinitsch hinterrücks ermordet hast. Niemand war dabei …«
    Er stockte. Von der Kirche her kam Schagin, der Pope, das silberne Kreuz vor sich hertragend wie bei einer Prozession. Er ging zu dem Panzer, kniete bei dem toten Kulinitsch nieder und segnete ihn, legte ihm dann das Kreuz auf die Brust und betete stumm.
    »Das ganze Dorf ist schuldig!« sagte Nasarow gepreßt. »Von hier gingen die Sabotageakte aus. Geheime Waffenlager gibt es hier, Bombenwerkstätten … ein Satansnest. In zehn Minuten geht jeder Dorfbewohner in der Stolowaja an mir vorbei!«
    Er beachtete Beljakow und Korolew nicht mehr, stampfte zu seinem Geländewagen, befahl, abzufahren und fuhr an den noch immer vor ihren Häusern stehenden Menschen vorbei die Straße hinunter zur Stolowaja, dem Gemeindesaal. Die Männer, Frauen, Kinder und Greise blickten ihm nach. Noch immer hatten sie die Hände in den Nacken gelegt, bewacht von der vor ihnen stehenden Kette der Soldaten.
    In der Stolowaja setzte sich Nasarow hinter einen Tisch, streckte die Beine aus, nahm seine Mütze vom Kopf und klopfte mit der Faust auf die Tischplatte. »Herein mit ihnen!« sagte er. »Hintereinander. Sechs

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