Sibirisches Roulette
einer nach dem anderen, und immer wieder hieß es »Abtreten! Abtreten!«, und die es hörten, atmeten auf, auch wenn sie nicht wußten, was der Aufmarsch bedeuten sollte.
Bei der Frau des Schreiners Kabanow zeigte Nasarow plötzlich nach rechts: »Zur Seite!« Kalt klang seine Stimme. Die Kabanowa, ein noch junges Weibchen, blieb wie erstarrt stehen. Wassili Iwanowitsch, ihr Mann, der schon weitergegangen war, drehte sich um. Den Stoß, den ihm ein Soldat mit dem Kolben einer Kalaschnikow gab, beachtete er nicht.
»Was wollen Sie von Marfa Jakowna? Was ist mit ihr, Genosse Major?« fragte er.
»Abtreten!« brüllte Nasarow. »Marfa heißt sie? Marfa bleibt hier.«
»Warum?«
»Wer hier fragt, bekommt die nötige Antwort!« Der Major gab einen Wink, die Soldaten packten Kabanow, drehten ihn um und trieben ihn mit Schlägen und Tritten aus dem Saal. Er wehrte sich verzweifelt, trat ebenfalls um sich, boxte nach allen Seiten, schrie mit sich überschlagender Stimme: »Helft mir, Freunde! Greift ein! Was will er von Marfa? Kommt mir doch zu Hilfe …!« Aber niemand rührte sich. Die Läufe der Maschinenpistolen waren auf jeden gerichtet, und so sehr sich Kabanow wehrte, er wurde hinausgeschleift und draußen vor der Stolowaja in den Staub geworfen. Dort zog er sich an der Hauswand empor, lehnte sich daran, hob den Kopf zum Himmel und faltete die Hände. »Gott im Himmel, was wollen sie von uns, was tun sie mit uns? Warum halten sie Marfa zurück …«
In der Stolowaja zogen die Dorfbewohner weiter am Tisch von Nasarow vorbei. Sie blickten stumm hinüber zu Marfa Jakowna, die in der Ecke stand, bewacht von einem Rotarmisten, weinend und einer Ohnmacht nahe, und starrten dann den Major an.
»Abtreten! Abtreten! Abtreten …«
Ein hingehämmertes Wort, ein eisiger Windstoß.
»Halt!« Nasarow streckte den Zeigefinger vor. Vor ihm stand Beljakow, das Kinn angedrückt, mit rot geschlagenen Augen, einem Riß in der linken Wange und blutverschmierten Haaren. »Da ist er ja, der Mörder. Zur Seite!«
Ohne Zögern trat Beljakow nach rechts. Hinter ihm, in der langen Schlange, klang ein Stöhnen auf. Sein hinkender Vater und seine Mutter hatten sich untergehakt; vor ihnen standen mit weiten Augen, das Ganze nicht begreifend, aber die Gefahr spürend, seine vier jüngeren Geschwister. Und Großvater Timofej, der Kriegsheld, und Großmütterchen, gichtgekrümmt auf ihren Stöcken gestützt, drängten sich heran und riefen fast gleichzeitig: »Andrej ist kein Mörder!«
»Abtreten! Die ganze Familie Beljakow – abtreten!«
Wie er seine Macht genoß, dieser Nasarow. Bis auf den alten Timofej gingen die Beljakows weiter, aber dann wurden sie von den Soldaten festgehalten, weil Großväterchen mit der Faust auf Nasarows Tisch schlug.
»Du läßt ihn frei!« verlangte der furchtlose Alte. »Auch ich werde nach Moskau schreiben, was hier geschehen ist! Ich war nur ein Unterleutnant und kein Major, aber ich weiß, was Recht und Unrecht ist.«
»Dein Enkel, Genosse, hat einen meiner Soldaten hinterrücks erschossen. Ist das kein Mord? Wir haben Beweise genug: Es war sein Gewehr, es war seine Schrotmunition, im Lauf fehlt ein Schuß, der Pulverschmauch hängt noch daran – willst du noch mehr?! Für diesen Mord wird euer ganzes Dorf büßen … Abtreten!«
»Auf Befehl hat er es getan!« brüllte der alte Timofej. »Auf Befehl!«
»Es gibt keinen Zeugen«, sagte Nasarow kalt und lächelte dabei. »Den Leuten von Lebedewka wird niemand glauben.«
»Aber mir, dem Veteranen!«
»Warst du dabei?« Nasarow lehnte sich genußvoll zurück. »Alterchen, putz deine Orden und halt's Maul … Schreib nach Moskau! Moskau ist weit, aber ich bin hier!«
Ein Soldat ergriff Großvater Timofej, zerrte ihn vom Tisch weg, gab ihm einen Schubs, daß er in die Arme seines Sohnes fiel, und dann drängte man die Familie Beljakow aus der Stolowaja hinaus, so laut auch die gichtige Großmutter mit ihrer schrillen Stimme schrie.
Und weiter zog die Reihe der gepeinigten Menschen an Major Nasarow vorbei.
»Abtreten! Abtreten! Abtreten! Halt – zur Seite!«
Noch fünfmal erklang das »Zur Seite!«, und jedesmal gab es ein großes Geschrei und Jammern, Protest und sinnlose Gegenwehr. Drei Frauen und drei Männer standen bereits auf der rechten Seite in der Ecke, als Masuk und seine Frau Svetlana vor dem Tisch standen. Mit ruhigem Blick hielt Masuk der Musterung des Majors stand. Die Durchsuchung seines Hauses und seiner Schmiedewerkstatt hatte
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