Sibirisches Roulette
nichts ergeben; die gut getarnte Falltür in den Bombenkeller hatte niemand entdeckt. Er hatte, bevor die Soldaten sein Haus besetzten, alle Spuren verwischt. Über dem heimlichen Eingang stand jetzt eine auf Rollen laufende, schwere Hammermaschine.
Nasarow lächelte Masuk an, zeigte auf Svetlana und sagte freundlich: »Zur Seite!«
Es war, als habe Svetlana Victorowna einen Schlag in den Nacken bekommen. Sie krümmte sich, krallte sich an Masuk fest und schrie: »Nein! Nein! Nein!« Und als ein Soldat sie wegriß, schrie sie: »Warum ich? Warum ich? Es gibt andere, die man ergreifen müßte.«
Es war ein entlarvender, ja verräterischer Aufschrei. Nasarow war so klug, nicht darauf zu reagieren, aber an seinen Augen erkannte man, welcher Triumph in ihm hochstieg. Mit einem stumpfen Ausdruck im Gesicht sah Masuk hinüber zu seiner Frau. Ihre Blicke begegneten sich, und wenn's auch nur eine Sekunde war – Svetlana Victorowna senkte sofort den Kopf, griff sich ans Herz und drückte sich in den Haufen der schon sechs Ausgegliederten. Was auch noch alles geschehen mochte: ausgestoßen war sie nun, allein auf der Welt, auch wenn sie das Unbekannte, in das man sie bringen würde, überlebte. Selbst, wenn sie von jetzt an schwieg – ihr Aufschrei war ein Verrat gewesen.
Sie drückte das Gesicht gegen die Wand der Stolowaja, spürte, wie selbst die anderen sechs von ihr abrückten, voll Verachtung und Widerwillen, und Marfa Jakowna, die Frau von Kabanow, unterbrach ihr Weinen, beugte sich vor und flüsterte ihr zu: »Gott strafe dich, du Luder! In den Tod bringst du uns alle! Geh zur Hölle!«
»Abtreten!« Nasarow zeigte auf Masuk. »Scheinst eine kluge Frau zu haben.«
»Etwas wirr im Kopf ist sie«, antwortete Masuk ruhig.
»Aber Augen, die beobachten, hat sie.« Nasarow zeigte zur Tür. »Hinaus mit dir!«
Es wurde später Mittag, bis alle Bewohner am Tisch vorbeigezogen waren und Nasarow noch drei junge Männer zur Seite gestellt hatte. Zehn Geiseln, von denen er hoffte, daß sie großen Nutzen bringen würden: entweder redeten sie selbst – oder ihre Anverwandten gaben Hinweise, um sie wieder freizubekommen. Zufrieden erhob sich Nasarow von seinem Stuhl, ging zu den zehn Geiseln in der Ecke und sagte: »Eine kleine Fahrt werdet ihr jetzt machen. Aber ob ihr zurückkommt nach Lebedewka, das liegt allein in eurer Hand!« Dann ließ er das Häuflein abführen und auf den bereitgestellten Mannschaftswagen verladen.
Vor der Tür der Stolowaja stand Kyrill Vadimowitsch Schagin, der Pope, das Silberkreuz noch immer in den Händen, und hatte auf Nasarow gewartet. Der Major verhielt vor ihm den Schritt und ließ ihn teilhaben an seiner Freude: Er rieb sich kräftig die Hände.
»In spätestens drei Tagen wirst du unser Geschäft einlösen, Pope!« sagte er dabei. »Bis dahin muß dir ein Lederhintern wachsen.«
»Sie haben bei Ihrer Selektion einen vergessen, Genosse Major: mich!« Schagin drückte das Kreuz an seine Brust. »Auch ich gehöre vor Ihren Tisch – und ›Zur Seite‹.«
»Aber nein!« Nasarow schüttelte den Kopf. »Wie komme ich dazu, in Lebedewka einen Märtyrer zu zeugen? Halte mich nicht für einen Idioten, Pope! Mit frommen Liedern willst du als Heiliger zu deinem Gott zieh'n, und wir werden zu Stiefelpissern!« Er machte eine herrische Handbewegung und wollte den Gang zu seinem Wagen fortsetzen, aber Schagin vertrat ihm den Weg. Verblüfft blieb Nasarow wieder stehen. »Auch dein Kreuz, und sei es hundertmal geweiht, schützt dich nicht davor, daß ich dir einen Tritt gebe, wenn du nicht zur Seite gehst!« sagte er.
»Was ist, Genosse Major, wenn ich dir das Kreuz über den Kopf schlage?«
»Zehn Jahre Sibirien … das kostet's dich …«
»Mir genügen ein paar Tage in deinem Lager; so lange wie die Geiseln bei dir sind.«
»Gottes Wort als starker Balken!« Nasarow lachte kurz auf. »Pope, wir kennen uns jetzt nur eine kurze Zeit … um Leonid Antonowitsch den Weg zu verstellen, sind alle deine Heiligen zu schwach.«
Blitzschnell fuhr seine Faust empor, traf Schagin in den Magen. Der Pope krümmte sich, ohne einen Laut von sich zu geben, das Kreuz umklammerte er und ließ es nicht fallen … aber er war nicht mehr fähig, Nasarow aufzuhalten. Nach vorn gebeugt, seinen Magen haltend, mit verdrehten Augen und Schleiern vor dem Blick, nahm Schagin wahr, wie der Major den Wagen bestieg, wie die Soldaten in ihre Mannschaftswagen rannten und die Kolonne die Dorfstraße hinabfuhr. Als letzter
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