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Sibirisches Roulette

Sibirisches Roulette

Titel: Sibirisches Roulette Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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die Pistole zu Beljakow und fragte fast fröhlich: »Du kannst doch schießen?«
    »Wir alle können schießen!« antwortete Korolew schnell. »Wer kann einen Hasen, eine Wildente oder einen Wolf mit den Augen töten?«
    »Hast du ein Gewehr?« fragte Nasarow weiter, als habe er Korolews Worte nicht gehört.
    »Eins zum Jagen …« Beljakow zögerte mit seiner Antwort. Wer konnte ahnen, was sich aus dieser Frage vielleicht entwickelte. Zu leugnen war ja nichts; sein Gewehr hatte an der Wand gehangen, als die Soldaten das Haus stürmten, und dort hing es auch jetzt noch, wenn die Rotarmisten es nicht mitgenommen hatten.
    »Wo hast du's versteckt?«
    »Nicht versteckt, Genosse Major. Warum sollte ich's verbergen? An der Wand im Zimmer hängt es.«
    »Nur ehrliche Menschen in Lebedewka, was? Nur unschuldsvolle Lämmchen!« Nasarow zeigte mit seiner Tokarew jetzt auf einen der begleitenden Soldaten. In dessen Augen sah man, wie er bis tief ins Herz hinein erschrak. »Du kennst sein Haus, hol das Gewehr.« Ein Blick zu Beljakow: »Ist es geladen?«
    »Ja, Genosse Major.«
    »Immer bereit, nicht wahr? Ob Wölfe oder Menschen – alles ist Wild!«
    »Auf einen Menschen habe ich noch nie geschossen …«
    »Das kann man lernen. Los, holt das Gewehr!«
    Nasarow wartete, bis der Rotarmist losgetrabt war, und wandte sich dann wieder dem jungen festgenommenen Soldaten zu, der ihn ängstlich und fragend zugleich anstarrte. Er war sich keiner Schuld bewußt, das sah man ihm an. Ihm war es ein großes Rätsel, warum man ihn wie einen Verbrecher hier hergeschleppt hatte. Schon das Einsperren in den Mannschaftswagen hatte er nicht verstanden.
    »Oleg Nikolajewitsch …«, sagte Nasarow in einem ruhigen, fast plaudernden Ton. »Erzähl mir einmal, wie das gewesen ist mit dem Mädchen. Halt! Nein! Erzähl es nicht. Wir wissen's ja alle. Kommst in das Haus, siehst das Weibchen und stürzt dich auf sie wie ein Wolf auf die Gans. War's nicht so? Was hast du gelernt, schon in den ersten Tagen deiner Ausbildung? Ein Soldat der Sowjetarmee ist ein Repräsentant seines Vaterlandes. Ein Vorbild für alle Männer muß er sein. Eine ruhmreiche Uniform trägt er. Die Fahne seines Regimentes wehte bei der Siegesfeier in Moskau, als wir den Faschismus zerschlagen hatten. Für alle Zeiten ist jeder Russe stolz auf seine Soldaten. Aber was macht da der Rotarmist Oleg Nikolajewitsch Kulinitsch? Über ein Mädchen fällt er her! Mißbraucht es mit der Gier eines Hundes!«
    »Genosse Major …«, stammelte Kulinitsch. »Darf ich erklären, Genosse Major …«
    »Erklären willst du? Was denn erklären?! Wie du's gemacht hast? Wir sind nicht neugierig auf deine Techniken.«
    »Ein Hemdchen trug sie nur, ein ganz kurzes, dünnes Hemdchen … Genosse Major, so etwas habe ich noch nie gesehen … Ich weiß nicht, was über mich gekommen ist, hab' den Verstand verloren, ja, das ist es … ich weiß nicht mehr, wie das alles geschah … Ich bedauere es.«
    »Er bedauert es, der liebe Oleg Nikolajewitsch!« Nasarow schlug ihm mit dem Lauf der Pistole über den Kopf, der Junge knickte etwas in den Knien ein, die Kopfhaut platzte, und ein Blutstrom ergoß sich über das zitternde Gesicht. Eine Wunde am Kopf blutet immer besonders stark, sieht gefährlicher aus, als sie wirklich ist, und auch Kulinitschs Aussehen veränderte sich unter dem Blut derart, daß es schien, als habe man ihm den Kopf gespalten.
    Kulinitsch, von zwei Kameraden festgehalten, begriff noch immer nicht die Lage, in die er geraten war. Sein Major hatte ihn geschlagen, er blutete, aber er nahm es hin in Demut und als Strafe. Dem Gesetz nach hatte sich Nasarow schuldig gemacht. Kein Vorgesetzter, auch kein Offizier, darf einen Untergebenen schlagen. Beschweren konnte man sich, und dann würde Nasarow in Schwierigkeiten kommen, dem General würde er vorgeführt werden, eine Ermahnung konnte er bekommen, eingetragen in seine Militärpapiere, was eine schnellere Beförderung verhindern konnte …, aber wer wagt es schon, Anzeige zu erstatten gegen seinen Major und für den Rest der Dienstzeit als eine Art Laus am Körper der Kompanie behandelt zu werden. Wie viele Möglichkeiten gab es, gerade beim Militär, einen Menschen zu zerbrechen, ihn niedriger als einen Wurm werden zu lassen. Die Phantasie der Unteroffiziere und Feldwebel im Erfinden von Schikanen scheint grenzenlos zu sein. Das beginnt beim Robben durch ein Schlammfeld und endet beim Putzen des Zimmers mit einer Zahnbürste.
    Kulinitsch

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