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Sibirisches Roulette

Sibirisches Roulette

Titel: Sibirisches Roulette Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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sah seinen Major gehorsam an. Das Blut lief ihm auch über beide Augen; nur wie durch einen Schleier nahm er Nasarow wahr, aber er wagte es nicht, mit dem Handrücken das Blut aus seinen Augen zu wischen.
    »Ich … ich … bin neunzehn Jahre, Genosse Major …«, stammelte Kulinitsch ergeben. »Komme aus Samjogorsk, ein Dorf bei Irkutsk. Ein kleines Dorf, nur zweiundfünfzig Häuser … will damit sagen, daß ich … mit Mädchen hab' ich wenig zu tun gehabt … Genosse Major, ich habe wirklich den Verstand verloren … sie stand da, nur in einem Hemdchen bis zum Nabel …«
    Von der Straße kam jetzt der Soldat zurück zum Dorfplatz, den Nasarow ausgeschickt hatte, Beljakows Jagdgewehr zu holen. Er schwenkte es in der Hand, schulterte es dann wie ein Militärgewehr, stand vor Nasarow stramm und hielt es ihm hin im Präsentiergriff. Der Major nahm es aus seinen Händen und streckte es Beljakow entgegen.
    »Ist dies dein Gewehr?« fragte Nasarow mit einem schiefen Lächeln.
    »Ja. Das ist es.« Beljakow blickte hinüber zu Korolew, der ebenso ratlos war wie er.
    Aber das Rätselraten sollte nicht lange dauern. Nasarow überzeugte sich, daß das Gewehr geladen war; mit Schrotmunition, wie man sie zur Hasenjagd und zum Entenschießen verwendet. Eine doppelläufige Flinte war es, alt und im Holz verwittert, ein Gewehr aus oder gar vor der Zeit des großen Krieges; immerhin waren Schloß und Läufe gut gepflegt.
    »Nimm es!« sagte Nasarow und hielt Beljakow das Gewehr wieder vor die Brust. Andrej Nikolajewitsch ergriff seine Waffe, zog sie an sich und sah den Major ratlos an, dessen böses Lächeln er nicht deuten konnte. »Jetzt wäre es einfach, anzulegen und mich zu erschießen«, fuhr Nasarow fort. »Hindern könnte dich keiner, wenn du schnell genug bist. Aber was hättet ihr alle davon? Euer Lebedewka müßte verbrannt werden zu einem riesigen Scheiterhaufen, auf dem alle Männer verschmoren würden. Versuch es also nicht …«
    »Ich habe nie daran gedacht«, sagte Beljakow und sah wieder hinüber zu Korolew. Was will er von mir, hieß dieser Blick. Warum gibt er mir mein Gewehr?
    Nasarow hatte eine Antwort schnell zur Hand. Zu dem noch immer blutenden, steif dastehenden Kulinitsch gewandt, sagte er geradezu höflich:
    »Oleg Nikolajewitsch, im Einsatz befinden wir uns; im Krieg, wenn man so will. Und im Krieg hat ein Kommandeur das Recht, sofort an Ort und Stelle Ungehorsam, Feigheit oder das Verbrechen einer Schädigung des Sowjetstaates zu bestrafen und den Täter zu richten. Ein Ausnahmegesetz ist das … Du hast dem Ansehen der Roten Armee geschadet. Verstehst du das?«
    »Nein, Genosse Major …«, stotterte Kulinitsch verwirrt.
    »Du bist ein Schwein!« schrie Nasarow plötzlich mit gewaltiger Stimme. »Ja, ein Schwein bist du! Eine Eiterbeule! Tritt drei Schritte zurück … die anderen weg von ihm … dreh dich um, mit dem Rücken zu mir … Bist du getauft? Bist du ein Kirchgänger?«
    »Nein, Genosse Major …« Kulinitschs Stimme schwamm davon. Er hatte alles getan, was ihm befohlen worden war, er stand nun sechs Schritte von Nasarow entfernt, mit dem Rücken zu ihm, starrte hinauf in den heute graublauen, verhangenen Sommerhimmel, den die Sonne nicht durchdringen konnte, aber doch mit Wärme ausfüllte, und plötzlich weinte er wie ein Kind. Das Blut aus seiner geplatzten Kopfhaut vermischte sich mit den Tränen und lief in Rinnsalen den Hals hinunter in seine Uniform.
    »Nicht getauft? Dann brauchst du auch nicht zu beten.« Nasarows Stimme war kalt geworden, als käme sein Atem vereist aus der Kehle. »Hast du noch einen Wunsch? Was soll man deiner Mutter schreiben?«
    Da erst, bei diesen Fragen, begriff Kulinitsch sein ungeheuerliches Schicksal. Er wirbelte herum, starrte in die kalten Augen des Majors, sah keine Gnade in ihnen, sondern nur sein Urteil, und fiel auf die Knie, die Arme weit vorgestreckt.
    »Was macht ihr mit mir?« schrie er und weinte dabei mit einer Heftigkeit, die seinen ganzen Körper erschütterte. »Genosse Major … Brüder … was habe ich denn getan? Habt Mitleid mit mir, ihr könnt mich doch nicht töten! Mord ist das! Warum wollt ihr mich morden? War ich nicht immer ein guter Soldat? Brüderchen, ihr kennt mich doch … waren immer gute Kameraden … nur einmal, dieses eine Mal hab' ich mich vergessen … Ihr Lieben … Brüder … Freunde waren wir doch … und jetzt wollt ihr mich töten …?!«
    Auf den Knien rutschte Kulinitsch Major Nasarow entgegen, die Arme

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