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Sibirisches Roulette

Sibirisches Roulette

Titel: Sibirisches Roulette Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Heimat.«
    »Unsinn!«
    »Heute wie vor tausend Jahren ziehen die Kamelkarawanen durch die Kysyl-Kum-Wüste, von Weideplatz zu Weideplatz. Nomadenvölker sind voller Stolz. Man sagt ihnen zwar, in zwanzig Jahren solle ihre Heimat überquellen vor Fruchtbarkeit, und werstweite Felder und Gärten brächten zwei Ernten im Jahr – aber dafür wird ihr Land eingeteilt sein in Sowchosen, zentral verwaltet, bis ins letzte kontrolliert, eingezwängt in Planungen und Sollzahlen. Der Nomade oder Steppenhirte wird zum angestellten Arbeiter gemacht, bekommt eine Handvoll Rubel, muß den Nacken beugen vor seinem Natschalnik. Damit nimmt man ihnen die Freiheit von Jahrtausenden. Ihr Stolz wird auf den Feldern untergepflügt.«
    »Boris Igorowitsch, Sie reden, als möchten Sie am liebsten selbst Bomben legen!« sagte Niktin betroffen.
    »Ich will Ihnen nur einen Hinweis geben zur Lösung eines Rätsels, das weder Sie noch die hohen Genossen in Moskau verstehen. Dort wischt man am Planungstisch voller Euphorie alles zur Seite; interessant sind nur die technischen Möglichkeiten, der staunenden Welt ein Jahrhundertwerk vorzuführen. Sibiriens Ströme rückwärts laufen zu lassen – das heißt, die Schöpfung zu korrigieren. Und wir haben die Mittel, es zu schaffen, das wissen wir alle. In zehn Jahren kann das Wasser des Ob nach Kasachstan und Usbekistan fließen, und so etwas kann jeden Ingenieur begeistern … nur an die Menschen hier und überall denkt keiner.«
    »Schemjakin!« rief Niktin erregt. »Nur für die Menschen bauen wir den Sib-Aral-Kanal! Er hat keinerlei technischen Nutzen, er dient nur der Ernährung!«

»Und ist schiffbar über zweitausendfünfhundert Kilometer. Jedem von uns ist bekannt, wieviel noch ungehobene Bodenschätze in den Gebieten rund um den Aralsee liegen. Wenn der Kanal vollendet ist, wird man die Schätze heben; ein großes Industriegebiet wird entstehen.«
    »Zum Wohle des sowjetischen Volkes! Von Jahr zu Jahr werden wir stärker werden als der Westen. Ein unbesiegbares Rußland!« Niktin bekam rote Ohren vor Begeisterung. Ein Mensch mit durchschnittlichem Aussehen war er; ein Gesicht, das man sich nicht merkte – aber wenn er sich in Begeisterung redete, strahlte er. Erst dann merkte man, daß er tiefblaue Augen hatte. »Die Propaganda ist es«, sagte er. »Jawohl, die schlechte Information – sie ist miserabel. Sie allein ist schuld. Man hat die Menschen nicht genügend aufgeklärt. Man hat ihnen nicht gesagt: Ihr werdet in einem neuen Paradies leben. Was hat man statt dessen gesagt? Hier kommt ein neuer Kanal hin, zweihundert Meter breit, und alles wird anders. – Schwachköpfe, wohin man sieht. Faulenzer allesamt! Man müßte mit Lautsprecher- und Filmwagen durch das Land fahren und das Volk aufklären. Bis ins kleinste Dorf, sage ich. Wir haben doch Zeit genug. Jahre voll Zeit; und wenn man einem Menschen in der einen Hand einen trockenen Kamelapfel hinhält und in der anderen einen saftigen, rotbäckigen, köstlichen Apfel vom Baum, was wohl, frage ich, wird der Mensch nehmen?«
    »Der Nomade den Kamelmist, denn damit heizt er im Winter seine Jurte.«
    »Sie sagen es, Boris Igorowitsch! Das hat man versäumt: Die Menschen umerziehen muß man, sie überzeugen, ihnen die Zukunft nahebringen, ein reales Denken lehren. Statt Dämme zu zerbomben, werden sie dann selbst zur Schaufel greifen und mitarbeiten am neuen Rußland.«
    Sie hatten Schemjakins Haus erreicht, stiegen aus dem Jeep und wurden an der Tür von Olga Walerinowna empfangen. Niktin begrüßte sie wie ein Schwesterchen mit drei Küssen, obgleich er sie nur zweimal in Tobolsk gesehen hatte, strahlte sie an und sagte blinzelnd: »Etwas mitgebracht habe ich für Boris Igorowitschs schöne Frau, etwas ganz Seltenes: drei Packungen feinster Milchschokolade.«
    »Sie sind ein Engel, Genosse Niktin!« rief die Schemjakina und gab die Tür frei. »Kommen Sie herein. Sie sind willkommen.«
    Schemjakin verzog etwas das Gesicht … für ihn war Niktin alles andere als ein Engel. Mit Niktin, ahnte er, waren neue Probleme nach Nowo Gorodjina gekommen.
    Die Rückkehr von Nasarows Truppe wurde im Lager kaum beachtet. Die Zeltstadt des Militärs lag außerhalb der Barackensiedlung, man arbeitete noch daran. Ein Küchenbau aus Fertigbauteilen wuchs empor, eine Heizungszentrale mit einem eigenen Benzingenerator, Garagen und eine Werkstatt, eine Kommandantur völlig aus Holzteilen. Es sah ganz danach aus, als sei dies kein vorübergehender Besuch,

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