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Sibirisches Roulette

Sibirisches Roulette

Titel: Sibirisches Roulette Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Schemjakina sagte: »Genosse Major, wir haben die Waffeln extra für Sie aufgehoben«, hob er dankend die Hand und fühlte sich wie vor die Knie getreten. Er sah Walja an und erkannte ihre wütend blitzenden Augen. »Welchen Auftrag bringen Sie mit, Genosse Niktin?« fragte er.
    »Das Projekt zu beschleunigen und den Menschen zu erklären, wie wichtig es ist für ihre Zukunft.«
    »Erklären mit Worten?«
    »Nur mit Worten.«
    »Verstehen sie die Worte? Ich bezweifle es. Diese Menschen muß man anders packen, nach meiner Methode. Überzeugung durch Stärke, das verstehen sie sofort. Eine Tradition setzen wir damit fort.«
    »Ein physikalisches Gesetz sagt: Druck erzeugt Gegendruck«, warf Schemjakin ein.
    »Immer die Gesetze! Der Mensch lebt mit seinen Empfindungen; wenn man auf sie klopft, wird er weich.« Nasarow lachte kurz. »So einfach sind die großen Geheimnisse.«
    Angewidert, man sah es ihr deutlich an, verließ Walja das Zimmer. Daß sie das Haus verließ, bemerkte keiner. Sie ging durch den hinteren Eingang, wo Schemjakins Büros lagen, und winkte einem Lastwagen. Der Fahrer bremste.
    »Nehmen Sie mich mit?« rief sie.
    »Wohin, Genossin Walja?«
    »Zum Militärlager.«
    »Schwierig, schwierig. Der Zugang ist vor einer Stunde abgesperrt worden.«
    »Versuchen wir es.« Sie kletterte in das Fahrerhaus und setzte sich auf das harte Kunstlederpolster. »Vielleicht lassen sie eine Ärztin hinein.«
    Der schwere Wagen ruckte an, fuhr durch das Barackendorf und schwenkte auf die Waldstraße, wo am Rande der hohen Bäume die Zelte der Soldaten aufgeschlagen waren. Aus dem blechernen Schornstein der Küche stieg Rauch auf, es roch nach Kartoffelsuppe und gebratenem Speck. Irgendwo spielte jemand auf einer Knopfharmonika, der Bajan. Wo gibt es einen Russen, der eine Bajan nicht liebt …
    Nach fünfzig Metern trafen sie auf den ersten Posten. Drei Mann waren es. Sie stellten sich mitten auf die Straße, hoben alle drei die Hand und riefen miteinander wie im Chor:
    »Stoj! Stoj!«
    Ein Zauberwort, dieses »Stehenbleiben!«
    Kein anständiger Russe überhört es.
    Das Schicksal von Lebedewka war an jemandem vorübergegangen, dem man es am wenigsten gönnte: Das ›Schwarze Haus‹ von Gamsat Wladimirowitsch Trofimow war nicht durchsucht worden. Es lag zu einsam. Bis an den Sumpfsee waren die Soldaten nicht gekommen. Wer nimmt schon an, daß da drinnen in der Wildnis noch ein einzelnes Haus steht? Soja Trofimowa, das von allen verachtete ›Hürchen‹, hatte sich mit ihrem Vater tief in das Dickicht verkrochen, und dort warteten sie bis zum Abend, ehe sie ihr Versteck verließen. Vorsichtig schob dann Soja ihr Motorrad dem Dorf zu, sah, daß die Soldaten abgerückt waren, schwang sich in den Sattel und fuhr ratternd die Straße hinunter.
    Sie wurde nicht begrüßt, man schüttelte ihr nicht die Hand. Mit bösen Blicken verfolgte man sie, und manch einer sagte: »Da waren die Soldaten nicht! Nichts ist ihnen geschehen. Der Teufel wohnt bei ihnen, da sieht man's wieder. Wie sie daherfährt in ihrem kurzen Rock! Zehn von uns haben sie mitgenommen, aber sie hätte es nötig gehabt. Der Satan ist mit ihnen im Bunde.«
    Zweimal fuhr Soja durch das Dorf und schielte hinüber zu Masuks Haus. Beim zweitenmal kam er ans Fenster, gab ihr ein schnelles Zeichen – da atmete sie auf und jagte mit großer Geschwindigkeit davon. Lew Andrejewitsch lebte, sie hatten ihn nicht weggeschleppt; das allein war wichtig für sie. Was ihr Wassja, der sie am Dorfende anhielt, erzählte, kümmerte sie nicht. Nur daß Svetlana Victorowna, Masuks Frau, mitgenommen worden war, erfüllte sie mit Freude. Zum ›Schwarzen Haus‹ kehrte sie zurück, berichtete ihrem Vater, was sie gesehen und gehört hatte, und rief fröhlich:
    »Welch ein schöner Abend, Väterchen. Zum See gehe ich und bade noch etwas. Wenn ich zurückkomme, backe ich uns Piroggen mit Fisch …«
    Ein schöner Abend war es wirklich. Am Nachmittag hatte sich die Sonne durchgerungen, den grauen Himmel aufgerissen, und nun roch die Erde kräftig und würzig, die Pflanzen strömten ihren Duft aus, und legte man sich ins hohe Gras, war man wie betäubt von dem Geruch.
    Am Rande des Sees zog sich Soja aus, dehnte den schönen Körper der schon glutrot werdenden Sonne entgegen, ging drei Schritte in das warme Wasser und schöpfte es mit beiden Händen, um es über ihre Brüste rinnen zu lassen. Das hier war ihre Einsamkeit, allein nur ihr gehörte sie. Kein anderer Mensch kam hierhin.

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