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Sibirisches Roulette

Sibirisches Roulette

Titel: Sibirisches Roulette Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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verließ der Panzer das Dorf, mit seinen breiten Raupenketten die Straße aufreißend. Stumm standen die Menschen links und rechts des Weges, und nur der alte Timofej Beljakow sagte, Tränen in den Augen:
    »Und dafür haben wir den Großen Vaterländischen Krieg gewonnen! Brüder und Schwestern, soviel Blut für so etwas …«
    Ein paar Minuten später war Lebedewka wieder ein unbekannter Flecken auf der Landkarte.
    Im Baulager Nowo Gorodjina hatte sich an diesem Tag einiges verändert.
    Mit einem Hubschrauber war der Genosse Jossif Wladimirowitsch Niktin aus Tobolsk eingetroffen.
    Niktin, ein anerkannter Fachmann im Wasserstraßenbau und oberster Leiter des Projektes Tobollinie, also des neuen Wasserwegs entlang des Tobol nach Süden, hatte mit seinem Kommen den Ingenieur Boris Schemjakin überrascht. Kein Anruf hatte ihn angekündigt … plötzlich surrte der Hubschrauber über die Baumwipfel und landete auf dem großen Materialplatz.
    Das verhieß nichts Gutes. Dieser Ansicht war auch Schemjakin. Er sprang vor seiner Baracke in den kleinen wendigen Jeep und erreichte den Landeplatz, als Niktin gerade den Hubschrauber über eine schmale Trittleiter verließ. Dessen Begleiter, ein schmächtiger, blasser Mensch mit einer dickgläsernen Brille, reichte ihm eine lederne Aktentasche hinaus und sprang dann selbst auf die Erde. Der Platzmeister des Materiallagers, der dicke Ilja Pupkow, rannte keuchend aus einem Schuppen heran, mit der festen Absicht, den fremden Piloten anzubrüllen: Hier wird nicht gelandet ohne meine Erlaubnis!
    Dazu kam es nicht, denn Schemjakin war schneller mit seinem Jeep und bremste mit aufheulenden Bremsen, als er sah, wie Niktin ein paar Schritte vom Hubschrauber weggelaufen war, um dem Winddruck der Rotorflügel zu entkommen. Mit zerzaustem Haar blieb der Ankömmling stehen, versuchte mit einer Hand sein Haar zu glätten und empfing Schemjakin mit ausgebreiteten Armen. Nach den Begrüßungsküssen auf die Wangen sagten sie sich artige Belanglosigkeiten, stiegen in den Jeep und fuhren zum Barackenlager. Der fade Mensch mit der Brille blieb zurück, mußte sich das Gebrüll des dicken Pupkow anhören und schwieg. Er schien es gewohnt zu sein, alles aufzufangen, was eigentlich seinem Chef Niktin zustand.
    »In Tobolsk sieht man die Lage sehr ernst, Boris Igorowitsch«, begann Niktin noch im Jeep das eigentliche Gespräch. »Sogar in Moskau ist man beunruhigt.«
    »Ich schlafe auch nicht gern auf versteckten Bomben«, erwiderte Schemjakin. »Aber was soll man tun? Sie wissen es ja so gut wie ich, Jossif Wladimirowitsch: Schon vor sieben Monaten habe ich um besseren Schutz gebeten. Was ist geschehen? Nichts! Geradezu darauf gewartet habe ich, daß größere Aktionen stattfinden. Nun haben wir den Jammer: ein Riesenloch im Damm. Wir können es gleich besichtigen.«
    Niktin winkte ab. Es drängte ihn nicht, in ein Gebiet zu fahren, wo Saboteure unsichtbar auf neue Anschläge lauerten. Er war Ingenieur, ein Spezialist für Wasserbau, aber kein Kämpfer gegen Staatsfeinde. Das war die Aufgabe anderer Abteilungen.
    »Fahren wir erst zu Ihnen, mein Lieber«, sagte er und drückte die lederne Aktenmappe gegen seine Brust. »Hat man Anhaltspunkte, woher die Saboteure kommen?«
    »Nein.«
    »Keine Verdächtigen?«
    »Wenn man es recht sieht, sind alle verdächtig. Alle Dörfer und Siedlungen in der weiten Umgebung des Tobol, in den Wäldern und Sümpfen, an den Seen und Feldern. Nicht nur hier gibt es einen Widerstand. Aus allen Gegenden, durch die der Kanal fließen soll, meldet man Zwischenfälle. Im Süden am Aralsee, aus den Steppen von Kasachstan, aus dem Gebiet von Kustanaj, am Oberlauf des Ischim, aus den Steppen links und rechts des Syrdarja und Amudarja … sagen wir es klar: überall!«
    »Wir wissen es, wir wissen es …« Niktin wackelte mit dem Kopf und bekam traurige Augen. »Eine Ansammlung von Dummköpfen, wie sie die Welt noch nicht gesehen hat. Wir wollen ihre Steppen und Wüsten fruchtbar machen, eine riesige Kornkammer soll es werden, Gemüsefelder bis zum Horizont, Obstplantagen, Millionen Hektar fruchtbaren Ackerlands, Nahrung im Überfluß für unzählige Menschen – und was tun sie? Sie wehren sich dagegen. Kann man das noch verstehen?! Auch in Moskau fragt man sich: Kann es soviel Blödheit geben?«
    »Vielleicht liegt es daran, daß man Völker, die jahrhundertelang über ihre Steppe ritten, nicht zu Ackerbauern werden lassen kann. Für sie heißt es: Wir verlieren unsere

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