Sibirisches Roulette

das Gerät wieder unter den Dielen und warf die Arbeitskleidung ab, um sich für Walja zu waschen.
    Nebenan fuhr Krasnikow wie elektrisiert aus dem Sessel, als hinter ihm eines der Geräte einen leisen summenden Ton abgab. Er stürzte ins Zimmer, gefolgt von Meteljew, der sofort einen Kopfhörer überstülpte. Aber bevor sie die Peilung einstellen konnten, war das Summen schon wieder vorbei.
    »Jemand hat gefunkt«, sagte Krasnikow und drehte an verschiedenen Knöpfen. Aber er fing keinen Ton mehr auf. »Hier aus dem Lager hat jemand gefunkt …«
    »Dann wären wir richtig.« Meteljew stellte seinen Peilapparat aus. »Er ist in der Nähe. Unter uns! Melden wir es General Tjunin.«
    Mit einem Spezialkurzwellengerät erreichten sie eine geheime Kontaktstelle, die sofort den Bericht weitergab nach Moskau. Nach sieben Minuten flog ein Spruch zurück:
    »Gratulation, meine Lieben! Wer hat schon soviel Glück? Wenn Gegner erkannt, sofort liquidieren. An einem Prozeß ist niemand interessiert. Tjunin.«
    Eine halbe Stunde später verließ Jugorow das Haus und ging zu Vorarbeiter Foma Noskow. Noskow besaß ein Fahrrad und war verwundert, als Jugorow hereinkam und sagte: »Foma Piotrowitsch, leihst du mir das Liebste, was du hast?«
    Noskow verstand sofort, was gemeint war, und antwortete: »Mein Rad? Wozu?«
    »Ein kleines Abenteuer, Brüderchen.« Jugorow blinkerte mit den Augen. »Verstehst du?«
    »Ist kaum da und hat schon einen Rock!« rief Noskow erstaunt und anerkennend zugleich. »Nimm's dir, Igor Michailowitsch … aber leg dich beiseite, tu's nicht auf dem Sattel; der Sattel ist alt und zerbrechlich.« Er lachte herzhaft über diese Feststellung und winkte Jugorow mit einem Zungenschnalzen zu.
    Jugorow bedankte sich, nahm das Fahrrad und schwang sich auf den Sattel. Die beiden neuen Mitarbeiter saßen noch immer in ihren Flechtsesseln und genossen die warme Dämmerung. Von den Mücken werden sie bald ins Haus getrieben, dachte er, trat kräftig in die Pedale und freute sich auf Walja Borisowna.
    Aber sie war nicht gekommen. Einsam lagen die ›Zehn Sänger‹ in der Nacht. Das enttäuschte ihn sehr. Er fuhr weiter nach Lebedewka, ging in Korolews Haus und sagte ohne Umschweife zu ihm: »Morgen brauche ich zehn Kilo Dynamit.«
    Der Rückweg führte Jugorow wieder an den ›Zehn Sängern‹ vorbei. Eine andere Straße gab es nicht nach Nowo Gorodjina. Er konnte nur langsam fahren, denn das Rad besaß keine Lampe, und die Nacht war verhangen. Eine Wolkendecke trennte Himmel und Erde; eine Finsternis war's, daß man, auch wenn das Auge inzwischen an die Dunkelheit gewöhnt war, sich nur langsam vorwärtstasten konnte.
    Plötzlich flammte grelles Licht auf; zwei Autoscheinwerfer blendeten Jugorow so vollständig, daß er stehenblieb, die Arme vor die Augen legte und nun überhaupt nichts mehr sah. Er drehte sich weg von dem Licht, und ein merkwürdiges Gefühl überfiel ihn.
    Fast gleichzeitig mit dem Aufflammen der Scheinwerfer, nur Sekunden später, peitschte ein Schuß durch die Stille. Woher er kam, ob aus der Richtung des Lichtes oder von einer anderen Seite, das konnte er nicht sagen. Neben ihm, in das Vorderrad, schlug die Kugel ein, doch geistesgegenwärtig schnellte sich Jugorow weg, hinaus aus dem Licht und zur Seite in das trockenharte Gras. Dort rollte er sich weiter, preßte sich fest an den Boden, wartete. Mehr war nicht zu tun. Noch einmal hatte der unsichtbare Schütze geschossen, als wolle er Jugorow im Sprung noch treffen – dann zerschnitt ein heller Aufschrei die Nacht, die Autoscheinwerfer erloschen, und die Finsternis wurde undurchdringlich.
    Jugorow blieb liegen, ein Bein angezogen, mit gespannten Muskeln, um sofort aufzuspringen, falls sich ihm jemand näherte. Und dann war da plötzlich eine Stimme, entsetzt, schrill, verzweifelt:
    »Igor! Was ist mit dir? Wo bist du? Hat er dich getroffen? Igor … gib Antwort … wo bist du … O Gott, o Gott, sie haben ihn getötet, keine Antwort gibt er mehr … Igor! Sag doch ein Wort, nur ein Wort nur … Oh, ihr verfluchten Hunde! Ihr Mörder! Mörder!!«
    Jugorow wartete noch, obwohl es ihm weh ums Herz war, Walja so verzweifelt schreien zu hören. Oder war's nur eine Falle? Sollte er hervorgelockt werden, gutgläubig und verliebt? Eine Zielscheibe, die man nicht verfehlen würde?!
    Er blieb liegen, aber dann sagte er deutlich: »Ich lebe …«
    »Igor!« Ihr Aufschrei mußte die Wolken aufreißen. »Wo bist du?«
    »Bleib stehen, wo du bist!« Er