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Sibirisches Roulette

Sibirisches Roulette

Titel: Sibirisches Roulette Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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ärgerte sie nicht, am allerwenigsten war sie beleidigt deswegen. Im Gegenteil: fast eine Freude war's, den Kampf gegen Nasarow aufzunehmen und ihn zum Gegner zu haben. Ein Großmaul, dachte sie auch jetzt, ein Sprücheklopfer, ein eitler und deshalb sehr gefährlicher Mensch. Begreift, wie überflüssig er geworden ist, das frißt ihn auf, schon nach einem Tag. Wie sagen die Leute am Ussuri: Ein hungriger Tiger kommt bis ins Haus … Magst ruhig kommen, Leonid Antonowitsch!
    Statt nach Nowo Gorodjina zurückzufahren, lenkte Walja den kleinen Jeep zu den Baustellen am Damm. Man war hier beschäftigt, die Schäden der Sprengung zu beseitigen, schaufelte mit großen Baggern Steine, Sand und zerborstenen Beton in riesige Lastwagen mit mächtigen eisernen Wannen und zog mit den schweren Traktoren die Trümmer aus dem Sprengtrichter.
    Auf einem dieser Traktoren saß Jugorow, die Mütze keck in den Nacken geschoben. Gerade schleppte er einen großen Betonklotz weg, den der Baggerlöffel nicht packen konnte. Walja fuhr neben Jugorow her, schrie ihm etwas zu, aber das Tuckern des Traktors war zu laut, um sie verstehen zu können. Jugorow blieb stehen und stellte den Motor ab.
    »In Ordnung alles!« rief er und lachte wie ein spielender Junge. »Keine Wunde, keine Quetschung, keine inneren Leiden. Danke für die Fürsorge, Genossin Ärztin …«
    »Weißt du, was Soja für eine ist?« schrie sie mit triumphierender Stimme.
    »Ein Sonnenstrahl in dieser grauen Welt.«
    »Und wie das strahlt! Eine Hure ist sie.«
    »Merkwürdig … alle sagen das.«
    »Mit Masuk liegt sie im Bett!«
    »Das weiß ich.«
    »Du weißt das?« Tief Atem mußte sie holen, so ungeheuerlich war die Antwort. »Noch viele Schwäger hast du im Bett. Noch viele!«
    »Und ein Kind bekommt sie auch.«
    »Ein Kind?! Von dir?«
    »Errichte keine Wunder, Walja Borisowna! Von Lew Andrejewitsch natürlich.«
    »Und trotzdem … trotzdem schläfst du bei ihr?«
    »Genossin Ärztin!« Jugorow beugte sich zu ihr in den Jeep hinunter. Ernster war er geworden und sah sie fordernd an. »Zum Schweigen bist du verpflichtet, so wenigstens heißt es in eurem Ehrenkodex. Masuks Frau Svetlana Victorowna weiß es noch nicht, und auch von dir soll sie's nicht erfahren – verstehen wir uns? Keine offizielle Information ist's, was ich dir jetzt gesagt habe, sondern ein vertraulicher medizinischer Hinweis.« Er richtete sich wieder auf, legte die Hand an den Zündhebel und nahm ihre wütenden Blicke auf. »Treffen wir uns?«
    »Nein!«
    »Heute abend?«
    »Nie! Nie mehr!« schrie sie zu ihm hinauf.
    »Zwischen Lebedewka und Nowo Gorodjina gibt's ein schönes Fleckchen. Die ›Zehn Sänger‹ heißt es; jeder kennt's. Ich warte dort auf dich, um neun Uhr abends.«
    »Wurzeln kannst du da schlagen, ehe ich komme!« rief sie, warf den Kopf in den Nacken und setzte sich hinter dem Steuer zurecht. »Schleich zu deiner Soja. Aber sei vorsichtig, Masuk könnte schon im Bett liegen!«
    Sie gab Gas, der kleine Jeep machte einen weiten Sprung und schoß davon. Jugorow blickte ihr nach, lachte aus vollem Hals und zog dann weiter den großen Betonbrocken über den Boden zur Sammelstelle.
    Sie liebt mich! Freunde, kommt her zu mir, alle, alle … laßt euch umarmen … Sie liebt mich!
    Für wenige Minuten war Jugorow der glücklichste Mann am Tobol.
    Zwei Tage darauf – mit Verspätung, für die keiner eine Erklärung abgab – landeten die ›Geologen‹ Krasnikow und Meteljew mit einem Hubschrauber der zentralen Bauleitung von Tobolsk auf dem freien Feld neben dem Materiallager von Nowo Gorodjina.
    Wie bei der Ankunft von Niktin empfing auch diesmal Schemjakin die Neuankömmlinge, die er für so nutzlos hielt wie kaum etwas anderes.
    »Willkommen in einem Land, in dem sogar die Füchse vor Einsamkeit weinen«, sagte er und drückte jedem die Hand. Auf einen Begrüßungskuß verzichtete er, Krasnikow und Meteljew hätten ihn auch nicht erwartet. Von General Tjunin hatten sie meisterhaft gefälschte Papiere erhalten. Einen neuen Lebenslauf, den sie auswendig gelernt hatten. Mit allen Namen, Daten, Orten und Ereignissen, die hinter ihnen lagen – von den Urgroßeltern angefangen bis zu den Bräuten, die sehnsüchtig darauf warteten, nächstes Jahr in einem langen Urlaub mit weißem Kleid und Schleier in den Heiratspalast der Heimatstadt ziehen zu dürfen. Tjunin selbst hatte die neue Vita der ›Geologen‹ abgehört und war zufrieden gewesen. Nicht nur töten konnten sie, auch intelligent

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