Sibirisches Roulette
rollte sich wieder lautlos weitet, damit der Schütze nicht in die Richtung seiner Stimme zielen konnte. »Sei ganz ruhig … Wo stehst du?«
»Vor den ›Zehn Sängern‹.«
»Mach die Scheinwerfer an und fahr einen kleinen Kreis.«
»Nein!«
»Tu es!« rief er laut und hart.
Das grelle Licht flammte erneut auf, dann sprang der Motor des kleinen Jeeps an, und Walja fuhr vor den ›Zehn Sängern‹ einen Kreis. Jugorow hatte den Kopf über das hohe Gras gehoben und beobachtete die angeleuchtete Umgebung. Als die beiden Lichtkegel zu ihm kamen, drückte er sich wieder tief auf den Boden. Am Ausgangspunkt angekommen, stellte Walja den Motor ab.
»Licht aus!« rief Jugorow und sprang auf, als die Scheinwerfer erloschen. Mit ein paar weiten Sätzen war er bei Walja, sah nur schattenhaft ihren Körper, riß sie an sich, drückte sie an seine Brust, und ihr Zittern war so heftig, daß ihn Angst überfiel, ihr Herz könnte jeden Augenblick versagen.
»Waljaschka …«, sagte er innig und küßte ihre flatternden Augen. »Walja, du bist doch gekommen … Welch ein Glück … Mein Liebes … mein Liebstes … Welche Traurigkeit war in mir, als du nicht hier warst …«
»Geschossen haben sie«, stammelte sie, und ihre Stimme hatte jeden schönen Klang verloren. »Auf dich geschossen … Töten wollten sie dich … Wer bloß … wer? Wem hast du etwas getan? Oh, Igor, und ich habe ihnen auch noch Licht gemacht!«
»Geschickt hat man das ausgenutzt. Jemand muß dich beobachtet haben, und dann lauerte der Schweinehund im Gebüsch und wartete, um uns zu überraschen. Fast wär's ihm gelungen.« Er küßte wieder Waljas Augen und dann die Lippen, schmeckte das Salz, das ihre Tränen hinterlassen hatten und tastete dann mit seinen Lippen die tränenfeuchten Spuren ab. »Ein schlechter Schütze ist er.«
»Gelobt sei Gott, daß es so ist. Hast du dir weh getan beim Sturz?«
»Nicht der Rede wert. Vielleicht eine Prellung.«
»Steig in den Jeep. Wir fahren sofort zurück. Untersuchen muß ich dich.«
»Warum bist du doch gekommen, Waljaschka?«
»Um dir zu sagen, wie ich dich hasse … nur darum …«
»Ich spüre es«, sagte er zärtlich. »Welch ein Haß!«
»Gibst dich mit einer Hure ab!«
»Masuk!« Jugorow löste die Arme von Walja und hob wie ein Wild witternd den Kopf. »Masuk …«
»Was ist mit ihm?«
»Er könnte es gewesen sein. Der hinterhältige Schütze.« Etwas entfernt von ihnen, aber klar genug, daß man es erkennen konnte, klang jetzt das Getrappel von Pferdehufen auf. Im Galopp ritt der Unsichtbare durch die Nacht. »Da ist er!« schrie Jugorow. »Hinterher! Zum Wagen, Walja … wir sind schneller als sein Pferd! Einholen werden wir ihn.«
Walja klammerte sich an ihn, hielt ihn fest, ließ sich nicht mitzerren zum Wagen.
»Nein!« rief sie voller Verzweiflung. »Nein, Igor! Bleib, bleib bei mir. Ein Gewehr hat er, und du hast nichts. Aus dem Sattel heraus wird er dich töten … Ich flehe dich an: Laß uns zurück nach Nowo Gorodjina fahren!«
Das Galoppieren verklang in der Ferne, dort, wo Lebedewka lag. Kein Zweifel, aus Lebedewka kam der Tod, und außer Masuk wußte Jugorow im Augenblick keinen, dem er im Weg stand. Es war nötig, sich um ihn zu kümmern.
Jugorow stieg in den Jeep. Walja setzte sich neben ihn, legte den Arm um seine Schultern, und noch immer zitterte ihr Körper.
»Ich liebe dich …«, sagte sie plötzlich. »Warum sage ich es als Frau zuerst? Weiß ich's?! Mein Herz schlägt nur noch deinen Namen.«
»Du kennst mich kaum.« Er küßte ihre Stirn und starrte in die Finsternis. »Was weißt du schon über mich? Komme von irgendwoher, laß mich anstellen von deinem Vater, fahre einen Traktor … was kennst du mehr von mir?«
»Deine Augen, deinen Mund, deine Hände, deine Stimme … unendlich viel …«
»Wie groß ist deine Liebe?«
»Wie soll man das beschreiben!«
»Wenn du mich liebst, dann packe morgen deine Koffer und fahr zurück nach Tobolsk. Frag' nicht, warum. Verlaß das Lager.«
»Nein!«
»Walja …«
»Nicht ohne dich. Allein soll ich in Tobolsk sitzen, jetzt noch allein? Überall werde ich sein, wo auch du bist.« Sie löste den Arm von seiner Schulter, griff ihn an den Aufschlägen seiner Jacke und zog ihn zu sich herum. »Oder ist es eine Lüge? Ist das ein Abenteuer mit der Genossin Ärztin? Sag es, sag es nur frei heraus … ehrlich sag es … wer wird's dir übelnehmen … ich kann's vertragen, ich werd's hinunterschlucken … bin nicht so eine,
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