Sibirisches Roulette
waren sie. Spezialisten, wie Oberst Tobombajew sie nannte. In ihren metallenen Koffern hatten sie alles bei sich, was für ihren Einsatz nötig war: Zusammenlegbare, selbst dem allgemeinen Militär nicht bekannte Maschinenpistolen. Nachtsicht-Schießfernrohre, Ultraschall-Detektoren, die kleinste Bewegungen im Dunkeln aufzeichneten. Schalldämpfer, die ein fast lautloses Schießen erlaubten. Knopfartige elektronische Sensormikrofone, überall unterzubringen, um jedes Gespräch, jedes Geräusch zu überwachen. Schußapparate für stählerne Giftpfeile, die aussahen wie ein dicker Kugelschreiber. Beidseitig geschliffene Messer, in einen hohlen Holzgriff versenkbar. Dünne Drahtschlingen und Sprengmunition, deren Projektile im Körper explodierten. Kurz und gut: ein Arsenal für das lautlose Töten. Für das vollkommen sichere Töten.
Schemjakin, völlig ahnungslos darüber, was da aus Tobolsk zu ihm kam, fuhr die beiden Geologen zu ihrem Häuschen im Neubaugebiet von Nowo Gorodjina, einem kleinen Fertigbau mit gut isolierten Wänden für den kommenden eisigen Winter. Er lag direkt neben der Baracke, in der Jugorow sein Zimmer hatte. Es war eines jener rätselhaften Spiele des Schicksals: Die Jäger und der Gejagte wohnten Wand an Wand.
Nach dem Sirenengeheul, das den Arbeitstag beendete, stellte Jugorow seinen Traktor vor den Garagenhallen ab, säuberte ihn mit einem Wasserschlauch, spritzte den dicken Erdschmutz weg und war damit der einzige, der sein Gerät sauber ablieferte. Zwei andere Traktoristen sahen ihn scheel an, kamen zu ihm und traten gegen die hohen Räder.
»Verdirb die Sitten nicht, Igor Michailowitsch«, sagte der eine. »Kommst noch mit einem Lappen und polierst ihn, was?«
»Morgen hängt er einen Blumenkranz darum!« rief der zweite. »Mit Schleifchen! Willst einen Aktivistenorden haben, wie? Gehst in die falsche Richtung, Brüderchen. Halte dich gut mit uns, sonst bleibt dein Liebling stehen und keiner weiß, warum!«
Sie lachten, mit einer Drohung im Ton, und gingen weiter. Noch während er den Schlauch zusammenrollte, kam auch der Vorarbeiter der Traktorenkolonne, Foma Noskow, zu ihm und stieß ihm freundschaftlich, so war's gemeint, die Faust in den Rücken.
»Eine große Familie sind wir hier«, sagte er. »Müssen wir sein in diesem Dreckland. Da geht's nicht an, daß einer das Muttersöhnchen spielt.«
»Wenn man sie pflegt, halten die Geräte länger.«
»Ist's dein Traktor? Na …? Gibt er seinen Geist auf, kommen neue aus Tobolsk. Bessere. Ganz moderne. Daran mußt du denken, Jugorow. Putzt du dein Großmütterchen, wenn du eine junge Frau haben willst?!«
Jugorow aß an diesem Abend in der großen Kantine, ließ sich von den Küchenmädchen anstarren, gedachte der Warnung, daß alle diese Mädchen schon auf die Natschalnik-Betten ›verteilt‹ waren, holte sein Essen an der Ausgabe ab und saß dann mit fünf anderen an einem der langen Tische, eine Flasche Bier vor sich, das leicht nach Mottenpulver schmeckte. Über zwei Lautsprecher in den Ecken der Kantine plärrte Musik … Märsche, was sonst? Immer bloß Märsche. Nur sonntags hörte man Operettenmusik oder sogar Opern; allerdings wurde das Essen dadurch nicht besser.
Wird sie kommen, dachte er beim Löffeln der Suppe. Wird sie unter den ›Zehn Sängern‹ stehen? Natürlich wird sie dastehen, nur um ihm zu sagen, daß sie nicht kommen will. Und er würde antworten: »So ist es, du bist nicht da«, und über sie hinwegsehen, was sie erheblich aufregen mußte.
Jugorow lächelte vor sich hin, aß den Teller leer und ging dann zu seinem Haus. Auf dem Vorbau des Nebenhauses, das bis heute mittag noch unbewohnt gewesen war, saßen in bequemen Flechtsesseln zwei fremde Männer und sonnten sich in der Abendsonne. Sie blickten hoch, als Jugorow sich ihnen näherte, und sahen ihn freundlich an.
»Neue Nachbarn?« fragte Jugorow.
»Seit drei Stunden.« Krasnikow zeigte auf das Nebenhaus. »Sie wohnen dort?«
»In nur einem Zimmerchen. Willkommen, Genossen.«
»Schönen Dank.« Meteljew machte eine weite Handbewegung. »Eine vorzügliche Brigade, so scheint's. Wohl fühlen werden wir uns.«
»Man wird sich einleben müssen.« Jugorow grüßte noch einmal, betrat die Baracke und schloß hinter sich die Tür seines Zimmers ab.
Das lose Dielenbrett hob er ab, holte das Funkgerät heraus, drückte auf einige kleine Knöpfe und sagte dann schnell: »Adler an Wolf. Adler an Wolf. Ich bin Traktorist …«
Mehr nicht. Er versteckte
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