Sibirisches Roulette
die sich an Männer wirft … Wenn's ein Irrtum war, muß man es hinnehmen. Die Wahrheit sagst du jetzt, Igor Michailowitsch!«
»Wenn es eine Liebe gäbe, mit der man noch eine zweite Sonne erschaffen könnte, dann wäre es meine! Waljaschka, oh, lebten wir doch in einem anderen Land … irgendwo. Jeder Flecken Erde wäre gut, ob am Amur oder am Jenesse, am Eismeer oder auf Kamtschatka; überall wäre es schön mit dir – nur nicht hier, am Tobol, in diesen Sümpfen, in Nowo Gorodjina, an dieser Trasse des geplanten Kanals …«
»Dann laß uns weggehen, Igor, einfach weggehen. An den Amur, wenn du willst. Auch dort, überall braucht man Ärzte. Warum müssen wir am Tobol bleiben?«
Er sagte nichts dazu, aber er dachte schweren Herzens: Auf diese Frage gibt es keine Antwort, Walja Borisowna. Du liebst Jugorow, aber der echte Igor Michailowitsch liegt längst begraben unter einem verwitterten Holzkreuz auf dem Friedhof von Omsk. Wie könnte man dir das jemals offenbaren? Würdest du es begreifen? Nein, nie könntest du das. Ein Schauder würde dich packen, Entsetzen dein Herz zu Eisen werden lassen, solltest du jemals erkennen, wen du liebst. Wie schwer ist's jetzt in mir … eine große Aufgabe habe ich zu erfüllen, und du stehst zwischen meinem Gefühl und meiner Pflicht. Waljaschka, flieh nach Tobolsk! Flieh dahin, wo ich dich wiedertreffen kann … als ein befreiter Mensch, der sich Jugorow nennt und Jugorow bleiben wird bis ans Ende seiner Tage. Dann wird man ein Geheimnis mit Erde zudecken, und das ist gut so für uns alle …
Laut sagte er mit großer Zärtlichkeit: »Laß mich ins Lager fahren. Wir werden morgen darüber sprechen. Freuen sollten wir uns, daß der hinterhältige Kerl ein so schlechter Schütze ist.«
Sie nickte, legte den Kopf an seine Schulter, und so fuhren sie nach Nowo Gorodjina zurück.
Vor seinem Zimmer gab Jugorow ihr wieder einen Kuß, wünschte ihr eine ruhige und schöne Nacht und schloß die Tür auf. Wie selbstverständlich folgte sie ihm in den Raum, verriegelte hinter sich die Tür, zog ihre Bluse aus und ließ den Rock auf ihre Füße fallen.
Auch Jugorow sagte kein Wort, als er sie auf seine Arme hob und durch das Zimmer zum Bett trug …
Am Morgen fuhr Walja Borisowna den Jeep vor die Tür von Schemjakins Haus, setzte sich nach einem Gruß, den niemand erwiderte, an den Tisch, wo die Eltern die Morgenmahlzeit einnahmen, griff zu Brot und Messer und ließ Honig auf die Schnitte laufen.
Schemjakin sah sie wortlos an, erhob sich kurz darauf und ging hinüber in sein Büro. Nur Olga Walerinowna, die Mutter, sagte, als sie Waljas Tasse mit neuem Tee füllte:
»Alt genug bist du, Töchterchen, um zu wissen, was du tust. Nur wirf dich nicht weg … Niemand ist doch hier, zu dem du gehören könntest!«
Zur Mittagszeit, als die Arbeitenden draußen an den Baustellen die Maschinen abstellten und in langer Reihe mit tiefen, emaillierten Schüsseln in der Hand am Küchenwagen vorbeizogen und ihre Suppe in Empfang nahmen mit Bemerkungen wie: »Brüderchen Koch, das ist heute wieder eine Jauche!« … »Frißt er das selbst auch, he, fragt ihn mal; einen Saumagen muß man haben!« … »Wißt ihr, wie man eine Suppe verlängert? Die halbe Brigade pißt hinein!«, und als Jugorow neben seinem Traktor saß und bereits seine Schtschi löffelte, dicke Brotstücke hineinstreute, nicht ohne zu seinen Nebenmännern ein fröhliches »Drijatnogo appetita!« zu rufen – da erschütterte auf einmal ein gewaltiger Knall die ganze Gegend. Dort, wo das Lager stand, stieg eine riesige Rauch- und Erdwolke in den Himmel, und selbst bis hierhin spürte man einen Ausläufer der Druckwelle.
Alle sprangen auf, liefen zusammen, schrien durcheinander und starrten auf den Staubregen, der schnell vom Himmel verschwand. Zugleich schrillten die Alarmsirenen, die Männer sprangen zu ihren Fahrzeugen, und von allen Seiten schob sich alles, was fahren konnte, nach Nowo Gorodjina zurück. Auch Jugorow saß auf seinem Traktor und fuhr so schnell, wie der brüllende Motor es hergab, in der Masse mit. Jeder bedrängte jeden, entsetzliche Flüche brüllte man sich zu, aber irgendwie erreichte der in sich verkeilte Haufen das Lager und die Stelle der Katastrophe.
Schemjakin hatte die Mittagspause, in der die Innendienstler in der Kantine aßen, wahrgenommen, um die neuen ›Geologen‹ Krasnikow und Meteljew in die Probleme ihrer neuen Wirkungsstätte einzuweihen. Vor einer großen Karte standen sie, und
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