Sibirisches Roulette
einer Hure. Im Bett liegt sie und erwartet ihn. ›Das kann ich auch zu Hause haben!‹ schreit wütend der Mann. ›Steh auf, zieh dich an und sträube dich …‹« Wieder lachte Svetlana, fiel nach hinten rüber auf die Decke und rülpste laut. So ist's, wenn man Wodka nicht gewöhnt ist.
»Hat er nicht nach uns gefragt?« schrie Beljakow sie an und schüttelte sie. »Was wollte er wissen?«
»Wie immer: Wo liegen die Bomben …«
»Und was hast du gesagt?«
»Verwechselt habe ich sie … Bomben mit Granaten … und Granaten haben wir doch keine …«
Sie murmelte noch etwas, rollte sich dann auf die Seite und schlief ein. Die anderen waren zufrieden. Man war sich sicher, daß Svetlana dem schlauen Nasarow widerstanden hatte.
Nun aber, am Sonntag, sollte also der arme Kulinitsch begraben werden.
Nasarow ließ ihn aus seiner Eiskiste umbetten in den schönen Sarg mit dem roten Stern. Wie schlafend sah der Junge aus, noch starr gefroren. Die Eltern durften ihn noch einmal sehen, streichelten sein Gesicht, weinten und riefen seinen Namen.
»Oleg Nikolajewitsch!« sagte der Vater und legte seinem Sohn den Tapferkeitsorden auf die Brust. »Die ganze Sowjetunion ist stolz auf dich. Trag diesen Orden in die Ewigkeit. Warst immer ein guter Junge … unser Sonnenschein … was hättest du noch werden können … Leb wohl … leb wohl … oben, wo wir uns wiedersehen …«
Seine Stimme brach. Mamjelew mußte ihn vom Sarg wegführen und stützen. Die Mutter war schon hinausgetragen worden; beim Anblick ihres Sohnes verließen sie die Sinne.
Nasarow nickte. Zwei Soldaten hoben den Deckel über den Toten und schraubten ihn zu. Die uralte Sitte, den Toten im offenen Sarg zum Grab zu tragen, dort noch einmal Abschied zu nehmen und dann den Deckel aufzulegen, wollte Nasarow in Anbetracht der Hitze nicht zulassen.
Auf einem flachen Raupenwagen, bedeckt mit der roten Fahne, fuhr man dann Kulinitsch nach Lebedewka zum Friedhof. Dort war das Bataillon bereits aufmarschiert, in sauberen Uniformen, mit glänzendem Lederzeug, die Gewehre zum Salut bereit. Sogar der Panzer war aufgefahren; mit hochgereckter Kanone stand er hinter dem Grab, nachdem er neunzehn Gräber flachgewalzt hatte, um an diese Stelle zu kommen – was nicht dazu beitrug, ihn freundlich anzusehen.
Den Soldaten gegenüber warteten, wie ein geschmiedeter Block, die Einwohner von ganz Lebedewka. Nicht einer war zurückgeblieben. Die Kinder standen bei ihren Eltern, die Alten bei ihren Familien. Großvater Beljakow, auf einem schwarzen Rock seine glitzernden Orden, hatte natürlich die erste Reihe erobert, stützte sich wieder auf den Rollstuhl seiner Frau und hatte bereits mehrmals laut gesagt: »Zu hoch, die neuen Panzer. Zu schwer. Ha, unsere T-34, das waren Dinger! Da liefen selbst die Deutschen weg, hatten nichts dagegenzusetzen. Die Tiger? Genossen, die lagen rum und hatten keinen Sprit … Ein T-34 … da hab ich draufgesessen bei Bjelgorod …« Und dann, als der Wagen mit dem Sarg langsam heranrollte, rief er: »Brüder, vergeßt das nicht mit euren Hosen!«
Drei Trommler und drei Flötisten begannen eine traurige Weise zu spielen, ein Leutnant kommandierte »Stillgestanden!« Aus der Hintertür der Kirche trat Väterchen Schagin, ganz in schwarzer Soutane. Begleitet wurde er von Afanasij, der ein Stockkreuz trug, und von Wassja, der ein klagendes Solo singen sollte.
Unter dumpfem Trommelwirbel hob man den Sarg vom Wagen. Sechs Soldaten ergriffen ihn. Jetzt stiegen auch Nasarow und Kulinitschs Eltern aus; fürsorglich faßte der Major die Mutter unter, deren Gesicht hinter einem dicken Schleier verborgen war. Leutnant Mamjelew trug mit einem anderen Offizier einen riesigen Kranz hinter ihnen her. Aus anderen Wagen stiegen die Trauergäste: Schemjakin und Olga Walerinowna, Walja Borisowna und Jugorow – bei dessen Anblick ein Raunen durch die Menge lief –, die Geologen Krasnikow und Meteljew und ganz zum Schluß ein Mann, den niemand kannte. Niktin war es, vor einer Stunde aus Tobolsk herübergekommen.
Bevor die sechs Soldaten den Sarg mit Kulinitsch vor dem abgestellten Grab absenkten, öffnete sich die Plane eines Wagens, den kaum einer beachtet hatte. Ein Aufschrei erschütterte den Block der Lebedewkaner: In Fesseln, begleitet von zwei Rotarmisten, stieß man Beljakow auf den Friedhof. Ein zufriedenes Lächeln umspielte Nasarows Lippen … sein großes Schauspiel hatte begonnen.
»Andrej Nikolajewitsch, mein Enkelchen!« rief Großvater
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