Sibirisches Roulette
Afanasij rufen …«
Mit dem Lachen seiner Freunde fiel Masuks Wut plötzlich zusammen. Auf einmal war er wieder ein friedlicher Mensch; und wie so oft, wenn er aus seinem Tobsuchtsanfall erwachte, schämte er sich.
Gemeinsam verließen Korolew, Rudenko, Goldanski, Masuk und Schagin die Kirche und prallten fast zurück vor dem Anblick, der sich ihnen draußen bot:
Auf dem Dorfplatz umarmte Jugorow, ohne Rücksicht auf die vielen Blicke, die Genossin Ärztin und küßte sie.
Zu spät, dachte Walja und schlang die Arme um ihn. Zu spät, Igor Michailowitsch. Nun ist Soja längst davongegangen.
Am Nachmittag fand das Ereignis statt, vor dem sich ganz Lebedewka fürchtete.
Am Tage vorher war ein gepanzerter Wagen von Nasarows Truppe durchs Dorf gefahren, und Leutnant Mamjelew hatte über einen großen Lautsprecher, den man in jeder Ecke hören mußte, den Befehl ausgegeben:
»Morgen, Sonntag, haben sich sämtliche Einwohner von Lebedewka auf dem Friedhof einzufinden. Um vier Uhr nachmittags wird der tapfere Soldat Kulinitsch begraben werden … Achtung! Achtung! Alle auf den Friedhof! Auch Frauen und Kinder! Wer nicht kommt, wird gewaltsam geholt. Morgen, Sonntag, haben sich sämtliche Einwohner …«
Langsam fuhr der Wagen durch Lebedewka, und Mamjelew wiederholte mehrmals seinen Text. Jeder mußte ihn hören, Ausreden konnte es nicht geben. Der Lautsprecher hätte die Posaunen von Jericho ersetzt.
Natürlich war nach dieser Durchsage alles bei Korolew zusammengelaufen, sogar Großväterchen Beljakow, der seine Frau im Rollstuhl vor sich herschob und sich auch selbst darauf stützte. Bevor Korolew eine Rede halten konnte, schrie Beljakow mit seiner zittrigen Greisenstimme: »Laßt uns ihn würdig begraben, ein Soldat war er. Ich als Veteran stehe vor ihm stramm. Er soll seine Ehre haben … aber dann, meine Lieben: Die Hosen runter! Zeigt Nasarow unsere Ärsche! Hahaha, wird das ein Vergnügen sein …«
Wie ein Ziegenbock meckernd, so lachte er. Aber er verstummte sofort, als Großmütterchen den Kopf zu ihm drehte und tadelnd sagte: »Wie soll ich's machen? Aufstehen kann ich doch nicht. Wer hilft mir dabei?«
»Wir werden alle um vier Uhr auf dem Friedhof sein!« rief Korolew über die Köpfe hinweg. »Niemand bleibt im Haus! Nasarow soll keinen Grund haben, unsere Häuser zu zerstören. Alle sind wir da!«
»Die Grenze der Infamie ist erreicht«, sagte Schagin später in der Kirche zu den Verschworenen. »Läßt mit militärischen Ehren sein eigenes Opfer begraben! Und feierliche Worte soll ich dazu sagen. Im Hals bleiben sie mir stecken … ihr werdet's sehen, Freunde. Keinen Ton bekomme ich heraus. Oder ich sage etwas, worauf er mich sofort erschießt.«
Nasarow hatte dieses Schauspiel gut überlegt und vorzüglich vorbereitet. Mehrmals hatte er mit General Pychtin in Tobolsk gesprochen und ihn davon überzeugt, daß eine Überführung des Soldaten Kulinitsch in seinen Heimatort nicht ratsam sei, denn die warmen Spätsommertage hatten den Leichnam nicht gerade ansehnlicher gemacht. Von der Küche der Baubrigade hatte Nasarow Eisblöcke kommen lassen, die man dort in einer Eismaschine erzeugte. Das Eis wurde zu Brocken zerschlagen und Kulinitsch dazwischengelegt. So blieb er, schnell selbst vereisend, trotz der Hitze gut erhalten. Zwei Soldaten sorgten immer dafür, daß frisches Eis gebracht wurde und der Leichnam nicht auftaute. In der Schreinerei der Baubrigade stellte man einen schönen, festen Sarg her; eine qualitative Handarbeit war das, wie man sie sonst nirgendwo mehr bekommt.
»Kein Kreuz, du Affe!« hatte Nasarow bei einer Inspektion den Schreiner angeschrien. »Ein Held der Roten Armee wird unter einem Sowjetstern begraben.«
Da das Kreuz schon in den Deckel geschnitzt war, füllte man es mit Gips aus, überstrich es in der Holzfarbe und klebte darauf einen großen, rot bemalten Stern, den die Schlosserei aus einer Blechplatte schnitt.
Aber noch eine ganz große Überraschung hatte Nasarow zu bieten: Aus dem Heimatort des armen Kulinitsch ließ er dessen Eltern an den Tobol kommen. General Pychtin begrüßte sie eigenhändig auf dem Flugplatz von Tobolsk, küßte die schluchzende Mutter, umarmte den trauergebeugten Vater und überreichte ihm später in der Kommandantur auf einem schwarzen Samtkissen den an seinen Sohn verliehenen Tapferkeitsorden. Weinend trug der alte Kulinitsch den Orden herum, während eine Reihe Offiziere ihm die Hand drückte.
Am Sonntagvormittag landeten die Eltern
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