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Sibirisches Roulette

Sibirisches Roulette

Titel: Sibirisches Roulette Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Beljakow sofort. »Hierher, zu mir! Laßt ihr ihn wohl los, ihr Schweineschwänze?! Leute, bewegt euch. Holt ihn mir!«
    Fragend, auf einen Befehl wartend, schielten die Rotarmisten zu Nasarow. Was nun? Ehrensalut oder die rebellischen Bauern in Schach halten? Sollten sie jetzt vorstürmen und den Soldatenmörder befreien? Mußte dann geschossen werden? Eine höchst gespannte Stimmung war's. Großvater Beljakow löste sich vom Rollstuhl seiner Frau, die mit heller Stimme schrie: »Mein Andrej … mein Söhnchen … mein Enkelchen!« Auf seinen Stock gestützt, marschierte er dem Gefangenen entgegen und wurde nach vier Schritten von Leutnant Mamjelew aufgehalten.
    »Aus dem Weg, du Gelbscheißer!« schrie der Alte. »Siehst du die Orden nicht? Wisch den Rotz vom Mund! Wer hindert mich, zu meinem Enkelchen zu gehen? Bin ich nicht losgestürmt auf deutsche Panzer?! Platz da … Platz!«
    Nasarow nickte kurz. Zwei Unteroffiziere packten Großvater, schleiften ihn zur Seite, entwanden ihm den Stock und schleuderten ihn weit weg zwischen die Gräber. Erneut erhob sich ein dunkles Raunen in der geballten Masse der Bauern, und Krasnikow, der hinter Nasarow stand, sagte gedämpft: »Das ist nicht gut …«
    Nasarow fuhr sofort herum und starrte Krasnikow giftig an. Ein Zivilist! »Ihre Meinung brauch ich nicht!« zischte er, aber er wurde noch wütender, als Meteljew darauf antwortete:
    »Ein Veteran ist der Alte. So faßt man keinen vaterländischen Helden an.«
    »Ein durchlöcherter, verrosteter alter Topf ist er!« sagte Nasarow verächtlich und ließ es zu, daß die Soldaten das große Beerdigungstheater weiterspielten und den alten Beljakow nicht etwa freigaben. Zum Sarg führten sie jetzt seinen Enkel; und da stand er. Andrej Nikolajewitsch Beljakow, hoch aufgerichtet, den Verband um den Kopf, das Gesicht noch immer von den Schlägen verunstaltet, an den Augen geschwollen und blaugelb verfärbt, und blickte auf den Sarg mit dem roten Stern.
    »Armer Kulinitsch, armer Mensch!« sagte er und faltete die Hände. »Gott nehme dich in seine Arme, und mir möge er verzeihen …«
    »Das ist er?« stammelte der alte Kulinitsch neben Nasarow und hielt seine laut weinende Frau umfangen. »Das ist der Mörder meines Sohnes?«
    »Ja.«
    »Ihre Pistole … bitte, geben Sie sie mir. Ich flehe Sie an, Genosse Major. Ihre Pistole!« Dabei mußte der alte Kulinitsch seine Frau festhalten, weil ihr die Knie versagten und sie umzusinken drohte. Von hinten sprang Schemjakin herbe, und half, sie zu stützen. »Warum ist denn keiner hier, der meinen Oleg Nikolajewitsch rächt …« Und dann brüllte er, mit einem wilden Blick und aufgerissenem Mund, seine Frau an sich drückend, zu Großvater Beljakow hinüber: »Was schreist du? Was jammerst du über dein armes, armes Enkelchen?! Reiß dir lieber die Orden ab, zertritt sie mit den Füßen: Dein Enkelchen ist ein Mörder! Ein Mörder! Der Mörder meines Sohnes! Schrei nicht herum … steh stramm vor diesem Toten. Kennst du noch ein Ehrgefühl, du Veteran?! Dann lauf, lauf, hol ein Gewehr und brenn deinem Enkelchen eines in den Pelz und wasch deine Familie sauber!«
    Großvater Beljakow verschluckte sich vor Zorn über Kulinitschs Zurufe, begann zu husten, krümmte sich schauerlich und verdrehte die Augen. Der Schlag trifft ihn jetzt, dachte Jugorow und biß sich auf die Unterlippe. Nasarows zweites Opfer … Soll man sich's länger ansehen?
    Bis auf das bellende Husten des Alten war es still am Grab. Und in diese Stille hinein hörte man deutlich Andrejs Worte: »Ich bin kein Mörder … Ja, ich habe ihn erschossen, aber unter Zwang! Auf Befehl von Nasarow! ER ist der wirkliche Mörder!!«
    »Ein Feigling ist dein Enkelchen auch noch!« schrie Kulinitsch zu Großvater Beljakow hinüber. »Schiebt's auf andere. Welche Erbärmlichkeit! Nein, nicht aufhängen sollte man ihn, nicht erschießen … Tausende … Zehntausende müßten an ihm vorbeiziehen und ihn bespucken, bis er in einem Meer von Speichel ertrinkt! Das ist der Feigling wert!« Und dann hob sich seine Stimme noch mehr, bis an die Grenze des Zerspringens: »Weg mit ihm! Bringt ihn weg! Ich ertrag's nicht mehr, ihn zu sehen. Verflucht sei er bis in alle Ewigkeit!«
    Nasarow war mit diesem Auftritt sehr zufrieden; das Schauspiel entwickelte sich so, wie er es gehofft hatte. Nun kam der zweite Teil.
    Ein Blick zu Leutnant Mamjelew genügte. Laute Kommandos schallten über die Gräber, der Sarg wurde in die Grube gelassen, die

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