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Sibirisches Roulette

Sibirisches Roulette

Titel: Sibirisches Roulette Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Ehrenkompanie legte an, und der Salut dröhnte über den Friedhof. Sie schossen nicht, wie sonst üblich, mit Übungsmunition, sondern hatten scharf geladen, und die Kugeln zischten knapp über die Köpfe der Bauern von Lebedewka hinweg in den Himmel.
    Kulinitsch und Schemjakin hielten die Mutter des Toten fest; kaum fähig war sie, zum Grab zu gehen. Sie beugte sich hinunter, und hätte man sie nicht umklammert, wäre sie dem Sarg nachgestürzt.
    »Mein Liebling!« schrie sie auf. »Mein alles! Nimm mich mit … was soll ich noch auf dieser Welt!?«
    Ergreifend war's, in vielen Augen standen Tränen. Die Frauen von Lebedewka weinten mit der erbarmungswürdigen Mutter, konnten ihre Schmerzen nachempfinden und drückten ihre Kinder an sich. Auch bei den Männern zuckten die Gesichter, und als die Mutter den jungen Beljakow anstarrte, der noch immer unter Bewachung der beiden Rotarmisten auf der anderen Seite des Grabes stand, und ihm zuschrie: »Verflucht seist du!« – da lag wieder jener drohende dumpfe Ton über der Menschenmasse, und alle Augen blickten auf Nasarow.
    Auch Waljas Augen waren gerötet vom Weinen. Jugorow hatte sie untergefaßt, und sein Gesicht war wie aus Stein.
    »Wie er dasteht, dieser Kerl!« sagte sie mit Verachtung. »Behandelt habe ich ihn, meine Pflicht als Ärztin war es … und um Nasarow zu ärgern tat ich's auch …«
    »Er ist kein Mörder.« Jugorow drückte ihren Arm fest an sich.
    »Er hat geschossen …«
    »Weil Nasarow ihn dazu gezwungen hatte.«
    »Es war sein Gewehr!«
    »Das ist ja das Teuflische.«
    »Von hinten erschossen!«
    »Ja. Kulinitsch mußte niederknien, und so schoß Beljakow ihn in den Rücken … wie befohlen. Eine Hinrichtung war's, von Beljakow erzwungen.«
    »Warst du dabei?«
    »Nein, aber es gibt viele Zeugen.«
    »Auch Nasarow hat viele Zeugen! Wer hat recht? Wer lügt?«
    »Wie meist im Leben, so ist's auch hier: unrecht hat immer der Schwächere, und das ist in diesem Fall Beljakow. Ein sowjetischer Major und seine Zeugen in Uniform lügen nie; was gelten dagegen Beljakows Schwüre, was sind die Aussagen der Bauern noch wert? Bedenk es, Walja: einfache Muschiks vom Tobol gegen einen Major!«
    »Dann wäre Beljakow das zweite Opfer von Nasarow?«
    »Ja.«
    »Und warum? Warum denn, Igor?«
    »Um Lebedewka zu zerstören. Nasarow glaubt, daß aller Terror gegen den Kanal von Lebedewka ausgeht.«
    »Und wenn's so ist …?«
    Jugorow vermied es, Walja anzusehen. Die Frage konnte, durfte er nicht beantworten. Er drückte ihren Arm und nickte zum Grab hinüber. »Sieh dir das an!« sagte er verächtlich.
    Nasarow war ans Grab getreten und warf eine Fahnenschleife des Regiments auf den Sarg. Dann grüßte er zackig zu einem Trommelwirbel, die Ehrenkompanie präsentierte, Afanasij hob das Stockkreuz und Väterchen Schagin, der Pope, segnete den Sarg. Wassja lauerte hinter ihm und wartete auf das Zeichen, mit seinem Sologesang zu beginnen.
    »Kamerad Kulinitsch!« rief Nasarow mit lauter, kommandierender Stimme. »Unvergessen bleibst du uns. Deine Tapferkeit ist Vorbild …«
    »So spricht ein Mörder«, flüsterte Jugorow atemlos. »Ein Mörder wagt es, so etwas den Zeugen seiner Untat und den Angehörigen zuzurufen!«
    Beim Trommelwirbel und Präsentieren hatte sich auch Großvater Beljakow gestrafft; er stand stramm, so gut es noch ging, und legte die Hand an die Schläfe. Die Unteroffiziere zu seinen Seiten hielten ihn noch immer fest.
    »Die Hände an die Hosen!« zischte Großvater böse. »Ist das heute ein Militär! Nicht mal strammstehen kann es …«
    Und siehe da, die beiden Unteroffiziere ließen den Veteranen los und nahmen Haltung an. Beljakow schielte nach links und rechts und war zufrieden.
    Nasarow blieb am Grab stehen, bis der Trommelwirbel verklungen war. Dann, beim Weggehen, warf er einen hämischen, triumphierenden Blick auf den jungen Beljakow. Das war dein Urteil, hieß dieser Blick. Kein blinder Hund hebt mehr ein Bein an deine Stiefel. An dein Dorf wird sich später niemand mehr erinnern. Wo Nasarow ist, gibt es keine Sabotage mehr.
    »Nasarow ist ein Sadist«, sagte Krasnikow leise, als der Major vom Grab zurückkam.
    »Man wird sich um ihn kümmern müssen, Victor Ifanowitsch«, erwiderte Meteljew. »Wer war wirklich der Mörder?«
    »Wir werden es bald wissen …« Krasnikow verzichtete darauf, an das Grab zu treten. Er ging ein paar Schritte nach hinten weg. »Ist's so, wie es Beljakow gesagt hat, dann haben wir eine doppelte

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