Sich vom Schmerz befreien
ihn und erhält neue Befunde, woraufhin er nun eine mehrwöchige stationäre Reha-MaÃnahme veranlasst. Und so geht es weiter:
An der Reha-Klinik wird nach der medizinischen Eingangsuntersuchung für Herrn M. auf der Grundlage seiner Diagnosen ein »ganzheitliches« Therapieprogramm erstellt. Das heiÃt, alle gefundenen Schmerzursachen werden durch das »interdisziplinäre Team« behandelt.
Zunächst wird er medikamentös neu eingestellt. Darüber hinaus kann sein Gleitwirbel erfolgreich eingerenkt werden, denn an der Klinik gibt es einen hervorragenden Chiropraktiker. Dann wird für ihn eine Schuheinlage angefertigt, um die Beinlängendifferenz auszugleichen. Wieder erhält er gezielte physiotherapeutische und sporttherapeutische Anwendungen und lernt neue Ãbungen kennen. Im Rückenschul-Kurs erfährt er, wie er sich »richtig« halten und bewegen muss, und von einem Ergotherapeuten, welchen Stuhl er zur Arbeit am Schreibtisch verwenden und wie er ihn einstellen sollte, damit der Rücken entlastet wird.
Und natürlich findet in dem »ganzheitlichen« therapeutischen Konzept der Klinik, wie weiter oben beschrieben, auch die Psychologie ihren Platz. Hier lernt er in Gruppen- und Einzelsitzungen bestimmte Entspannungstechniken, um ruhiger zu werden und um die an psychische Spannung gekoppelten Muskelverspannungen zu lösen, die die Schmerzen verstärken. Daneben beinhaltet das psychotherapeutische Programm Ãbungen zur sogenannten »kognitiven Schmerzbewältigung«. Er erhält Informationen darüber, wie psychologische Prozesse das Schmerzerleben beeinflussen und wie man sein Verhalten diesbezüglich ändern kann. Es werden auch »kognitive Methoden« erlernt, mit denen es gelingt, die Aufmerksamkeit vom Schmerz abzulenken und ihn so zeitweise »auszublenden«. In Einzelgesprächen werden individuelle psychische Faktoren hinter dem Schmerz herausgefunden und über das therapeutische Gespräch »verarbeitet«. Mit all dem soll Herrn M. etwas an die Hand gegeben werden, damit er mit seinem Schmerz »besser umgehen kann«.
Während seines stationären Reha-Aufenthaltes kommt Herr M. also in den Genuss eines noch umfangreicheren Therapieangebotes, als er es bisher erlebt hat. Er wird ausführlich über die anatomischen Gegebenheiten der Wirbelsäule und Bandscheiben, deren Funktionen, Fehlfunktionen, Störungen, Belastungen und Schädigungen durch das eigene Verhalten informiert. Muskelaktivität wird dabei über biomechanische Bewegungsabläufe und Körperhaltungen beschrieben. »Fehlhaltungen«, also solche, die von der »richtigen Haltung« abweichen (z.B. Sitzen mit einem »Rundrücken« oder Stehen »im Hohlkreuz« statt mit »geradem Rücken«), aber auch »unfunktionelles Bewegen« wie »falsches« Sitzen, Tragen, Heben oder Laufen führen zu (Fehl-)Belastungen und damit Schädigungen und Schmerzen. Von psychologischer Seite erfährt er, dass psychischer Stress auch zu Muskelspannung führt und damit Schmerzen verstärken und chronifizieren kann. Gegen diese Schmerzursache lernt er Entspannungstechniken kennen, vor allem die »Progressive Muskelentspannung« nach Jacobson. Mit ihr werden wir uns später noch ausführlicher beschäftigen.
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Wieder zu Hause, kauft sich Herr M. ein Wasserbett. Das ist herrlich. Er schläft darin deutlich besser und wird selten von seinen Rückenschmerzen geweckt. Aber es fällt ihm nun auf, dass er in anderen Betten immer schlechter schlafen kann, weil ihm das Liegen wehtut. Dies ist die Kehrseite der Medaille: Jede therapeutische MaÃnahme, die sich um die Beseitigung einer speziellen Schmerzursache kümmert, kann wiederum Reaktionen nach sich ziehen, die zu neuen Ursachen werden. Darauf werden wir ausführlicher zurückkommen, wenn es um die »kommunikative Schmerztherapie« geht, die sich aus dem Spannungsmodell ergibt.
Nach der stationären Reha-MaÃnahme geht es unserem Freund richtig gut. Eine ganze Weile verhält sich der Rücken friedlich, nur das rechte Knie meldet sich immer wieder - vor
allem bei gymnastischen Ãbungen gegen Rückenschmerzen. Im Laufe der Zeit verstärken sich dann die Nacken- und Kopfschmerzen wieder - vor allem in Zeiten, in denen es im Büro besonders stressig ist oder aber am Wochenende, wenn er zur Ruhe kommt. AuÃerdem stellen sich zunehmend
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