Sich vom Schmerz befreien
die Organisation des Körpers gegen die Schwerkraft, also die aufrechte Haltung, vor allem Muskelfasern zuständig sind, die unbewusst gesteuert und daher nur indirekt willentlich kontrolliert werden können. In der gängigen Schmerztherapie spielen also die Vorgänge zur Regulation der Muskelaktivität, die Abstimmung der verschiedenen Muskelfasern, das heiÃt das Zusammenspiel der verschiedenen Bereiche des Nervensystems (siehe Kapitel 1) höchstens am Rande eine Rolle.
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Nun ist es natürlich nicht so, dass bei uns Schmerzmedizin und Schmerztherapie nicht erfolgreich sind bzw. dass das Maschinenmodell des Schmerzes »falsch« ist. Ganz im Gegenteil: Schmerzmedizin und Schmerztherapie machen gerade in neuester Zeit im naturwissenschaftlichen Verständnis groÃe Fortschritte.
Die moderne Technik ermöglicht eine immer differenziertere Erforschung von Schmerzursachen und bietet immer schonendere Möglichkeiten, sie zu behandeln - durch wenig belastende mikro- und neurochirurgische Eingriffe zur »Reparatur« struktureller Schädigungen, vor allem aber durch die Entwicklung spezifischer, gut verträglicher Medikamente. Das zunehmende Wissen um bio-elektrische Prozesse, die die Grundlage sowohl körperlicher als auch psychischer Vorgänge sind, hat in der Schmerzmedizin beispielsweise auch dazu geführt, dass manche Menschen gegen ihre chronischen Schmerzen Antidepressiva erhalten. Die Stimmung wird dadurch aufgehellt, die Schmerz verursachenden Muskelspannungen gelöst. Doch trotz aller Fortschritte ist in der Schmerzmedizin systemisches Denken und Handeln bisher kaum zu finden. So können zwar kurzfristig immer mehr Schmerzen immer effektiver beseitigt werden, doch der langfristige Erfolg bleibt oft aus.
Wie wir bei Herrn M. gesehen haben, ging es ihm nach der Operation, physiotherapeutischen Behandlungen sowie Akupunktur zunächst gut. Das Problem tauchte jedoch immer wieder auf, wurde stärker, weitere Schmerzen kamen hinzu. Diese Erfolglosigkeit in der Behandlung von chronischen Schmerzen und Schmerzproblemen hat zur Folge, dass - wie erwähnt - immer mehr »alternative« Methoden verwendet werden. Längst gehört es zum guten Ton, im Rahmen eines »ganzheitlichen« Konzepts entspannungstherapeutisch und psychotherapeutisch oder mit Techniken aus der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) zu arbeiten.
Diese Methoden werden jedoch häufig ebenfalls im Verständnis des »Maschinenmodells« angewandt, nämlich nicht systemisch, sondern gezielt zur Behandlung spezieller Schmerzursachen. Sie helfen manchmal, oft auch nicht, und wenn doch, dann kann dies im naturwissenschaftlichen »Reparatur-Verständnis« nicht erklärt werden, weshalb sie auch in der Regel
nicht anerkannt werden. Die Wirkung wird dann oft mit dem Begriff »Placebo-Effekt« als »eigentlich unwirksam« abgetan. Bei vielen Schmerzpatienten hat man den Eindruck, dass sich ihre Probleme umso mehr festigen und ausbreiten, je mehr man behandelt und therapiert, was im Maschinenverständnis gerne mit »der Psyche« begründet wird.
Die Situation eines Schmerzpatienten kann im Weltbild unserer Medizin (etwas überspitzt) folgendermaÃen charakterisiert werden: Da die Prozesse und Zusammenhänge in der »Maschine« Organismus noch nicht genug verstanden werden, ist das Problem derzeit noch nicht lösbar. Bis es so weit ist, muss der Patient den Schmerz immer wieder betäuben oder lernen, mit ihm zu leben; dafür soll er die notwendigen medizinischen und therapeutischen Hilfen in Anspruch nehmen und hoffen, dass irgendwann irgendjemand seine Schmerzen endgültig beseitigen kann.
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Vielleicht bedarf es wirklich eines anderen Verständnisses von Schmerz, eines anderen Weltbildes und einer anderen Sichtweise von Behandlung, damit Methoden ihre schmerztherapeutische Wirkung entfalten können. Anhand des »Spannungsmodells« zeige ich Ihnen im folgenden Kapitel, was das für »Krankheit als aktives Verhalten« bzw. konkret für den Schmerz bedeutet. Daraus ergeben sich die Vorgehensweise zur »kommunikativen Schmerztherapie« und ein spezielles Verständnis von »schmerztherapeutischer Wirkung«. Aus diesem Blickwinkel wird auch verständlich werden, warum »mechanische« medizinische und therapeutische MaÃnahmen meist nicht ausreichen, ja, Schmerzen dadurch sogar erst zum Problem werden.
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