Sich vom Schmerz befreien
Ohrgeräusche (»Tinnitus«) ein, die ihn insbesondere dann stören, wenn es still ist und er ruhen oder schlafen möchte. Dann kann er sich auch nicht auf das Entspannungstraining einlassen, das er gelernt hat. Entspannen kann er dann nur, wenn er bis zur Erschöpfung Fahrrad fährt - oder bis ihn seine Knieschmerzen zwingen, aufzuhören. Wenn es wieder mal besonders schlimm ist oder neue Schmerzen hinzukommen, beschäftigt er sich intensiver damit. Er sucht dann Ãrzte auf, die andere oder zusätzliche Medikamente verordnen.
Zwischendurch probiert er auch mal »alternative« Heilmethoden aus. Einmal, bei besonders starken Knieschmerzen, versucht er es mit Akupunktur. Das hilft auch tatsächlich. Sein Knie wird mehrmals genadelt und er ist nun erst einmal mehrere Wochen relativ schmerzfrei. Als die Schmerzen wieder stärker werden, entschlieÃt er sich zu einer weiteren Akupunktur-Behandlung, die erneut hilft - aber weniger lange. Bereits die vierte Behandlung von 10 Akupunktur-Sitzungen, die zwei Jahre nach der ersten durchgeführt wird, hat kaum noch einen schmerzlindernden Effekt. Vor allem werden schnell die Schmerzen im unteren Rücken wieder schlimmer. Auch einer Yogagruppe hat er sich angeschlossen. Herr M. merkt jedoch bald, dass dies nicht das Richtige für ihn ist, da er dabei schnell an seine (Schmerz-)Grenze kommt. Auf Anraten seines Arztes gibt er Yoga also wieder auf.
Keine Chance bei chronischen Schmerzen?
Bis hierher steht die Geschichte stellvertretend für viele Menschen mit chronischen Schmerzen, die mir im Rahmen meiner langjährigen therapeutischen Arbeit begegnen. Sie soll deutlich machen, dass das »Rätsel Schmerz« bei uns trotz enormer wissenschaftlicher Fortschritte noch lange nicht gelöst ist. Menschen, die zu mir kommen, kennen das Problem in der Regel seit Jahren. Manche leiden sehr darunter und sind nach vielen erfolglosen Operationen und Therapieversuchen mittlerweile bereit, sich auch auf »alternative Methoden« (unter diese Rubrik fällt meine Arbeit meist) einzulassen. Andere haben sich mit ihren Schmerzen abgefunden, weil sie unveränderlicher Bestandteil ihres Lebens sind. Sie suchen mich auf, weil neue Probleme hinzugekommen sind, das heiÃt der Schmerz sich verschlimmert hat oder neue Schmerzen bzw. andere gesundheitliche Störungen sie belasten und eine »psychische Komponente« vermutet wird.
Viele nehmen mittlerweile mehrere Medikamente ein - gegen Schmerzen, Bluthochdruck, Magenprobleme, ein Schlafmittel und etwas zur Beruhigung. Sie sind oft verzweifelt, möchten »von den Medikamenten weg«, was ihnen jedoch nicht gelingt, zumal sie in der naturwissenschaftlich orientierten Medizin hierin kaum Unterstützung erhalten. Wieder andere haben eine Operation hinter sich, seit der ihre Schmerzen unerträglich geworden sind. Die meisten haben zahlreiche schmerztherapeutische Erfahrungen gemacht - alle rennen ihrem Schmerz hinterher, wobei sich viele Spezialisten, wie wir bei Herrn M. gesehen haben, um die verschiedenen Ursachen und Störungen kümmern.
In der Schmerztherapie handelt es sich dabei - wie auf Seite 79 ff. beschrieben - um MaÃnahmen, die mit Muskelaktivität
und Muskelspannung zu tun haben. Doch bei jeder Methode bedeutet Muskel»spannung« etwas anderes: Für einen Masseur ist es vielleicht ein »verhärteter Muskel« oder »verklebtes Bindegewebe«, für eine Krankengymnastin ein »verkürzter Muskel« oder ein »unbewegliches Gelenk«, für einen Neurologen ein erhöhter Muskeltonus aufgrund eines übermäÃig aktiven vegetativen Nervensystems und für einen Psychologen die damit verbundene Angst. Entsprechend werden die jeweiligen Behandlungen durchgeführt.
Vielleicht hat auch Ihr Masseur Sie schon einmal aufgefordert, »den Nacken doch bitte zu entspannen«, damit er »an tiefe Gewebespannungen und Verklebungen herankommen« kann. Hier wird deutlich, dass er die unbewussten Spannungen im Bindegewebe, deren Beseitigung seine Behandlung gilt, isoliert betrachtet, unabhängig von Spannungen in den willkürlichen Nackenmuskeln. Diese loszulassen liegt also an Ihnen und ist wichtig, damit er erfolgreich arbeiten kann. Auch die Anleitung wie »doch bitte mit geradem Rücken richtig zu sitzen« suggeriert, dass man dies bloà willentlich tun muss. Dabei wird jedoch nicht die Tatsache berücksichtigt, dass für
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