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Sichelmond

Sichelmond

Titel: Sichelmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Gemmel
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du ihm die schlafende Tabitha gezeigt hast?‹, fragte er mich. Und Rouven, vielleicht erinnerst du dich, dass ich dich beim letzten Besuch mit zum Fenster meiner Nichte genommen hatte.«
    »Ja«, antwortete Rouven und sah zu Tabitha hinüber. »Daran erinnere ich mich genau.«
    »Und weißt du noch, was du in diesem Moment gefühlt hast?«
    Rouven nickte. »Auch das weiß ich genau. Ich spürte, dass Tabitha und ich seelenverwandt waren. Dass es eine Bindung zwischen uns gab, die schon jetzt, wo sie noch ein Kind war, stärker war, als alles, was ich zuvor gespürt hatte. Mir war klar, dass wir zueinander gehören sollten. Irgendwann einmal.«
    »Du hattest dich verliebt«, sagte Nana, und Rouven nickte noch einmal.
    »Obwohl sie erst ein Kind war, hab ich gespürt, dass sie etwas Besonderes für mich ist.«
    »Und Jachael hat es auch bemerkt«, sagte Nana, und Rouven riss den Kopf zu ihr herum.
    »Was?«
    »Er hatte uns beobachtet, wie er sagte. Er hatte uns belauscht und alles mitbekommen. Und so war sein Plan entstanden. Durch deine Gefühle zu Tabitha bist du verwundbar geworden, Rouven. Und das wusste er auszunutzen.«
    Rouven blickte sie mit offenem Mund an. Allmählich begriff er, was Nanas Worte zu bedeuten hatten.
    »Er hat mir seinen ganzen Plan erläutert. Erst wollte er deine Gefühle zu Tabitha nutzen, um dich zu schwächen. Dann wollte er dir deine Vertrauten nehmen, um den endgültigen Kampf einzuleiten. Einen Kampf, den du nur verlieren kannst, Rouven. Das war es, was Jachael mir in dieser Nacht anvertraute.«
    »Und genau so ist es gekommen«, antwortete Rouven. »Er hat beinahe alle Familien entführt. Er hat mich herausgefordert.«
    »Und er hat dafür gesorgt, dass du dich verliebst«, ergänzte Nana.
    »Er hat dafür gesorgt?«
    Nun fiel es Nana schwer weiterzureden. Die Erinnerung an den folgenden Moment schmerzte nach wie vor. »Als er mir seinen gesamten Plan geschildert hatte, erhob er sich von seinem Platz. Er kam auf mich zu, und ich dachte, dass er mich nun töten wollte. Doch das wäre in diesem Moment nicht möglich gewesen, weil du, Rouven, noch immer der Wächter der Seelen warst. Du hättest gespürt, wenn er mich verletzt hätte. Doch es geschah etwas ganz anderes.«
    Sie schloss die Augen, seufzte, atmete tief durch und sagte: »Er hielt plötzlich meinen Kopf in seinen Händen fest. Er drückte seine Finger gegen meine Schläfen. Er starrte mir direkt in die Augen, und ich spürte, wie etwas in mir vorging. In meinem Kopf. Ich spürte, wie sich dort ein Gefühl breitmachte, als fülle sich ein Ballon, tief in meinem Gehirn. Es war ein ungeheurer Druck in meinem Inneren. Ich dachte schon, der Kopf würde mir zerspringen. Und in diesem Moment spürte ich, wie die Erinnerung an dieses Gespräch gelöscht wurde. Und noch mehr. Mit einem Mal vergaß ich, wer meine Brüder waren. Ich vergaß den Weg zur Kapelle. Und auch unsere Verstecke und Treffpunkte. Und als Jachael ging, da war mir klar, dass ich mein Gedächtnis verlieren würde. So hatte alles begonnen. Mit jedem einzelnen Tag, der verging, vergaß ich mehr aus meinem Leben. Und deshalb musste ich Vorsorge treffen. Eigentlich hätte es noch dreimal sieben Jahre gebraucht, bis Tabitha meine Stelle als deine Vertrauteübernehmen sollte. Doch jetzt, wo ich eine Krankheit hatte, die mich verwirren würde, musste ich Tabitha einweihen. So habe ich sie dir vorgestellt. Inzwischen war sie sechzehn, und ihr beiden hattet euch verliebt. Es ist alles so eingetreten, wie Jachael es geplant und vorausgesagt hatte. Tabitha zuliebe wurdest du menschlich. Und nun konnte er dich schwächen, indem er die Seelenschützer einen nach dem anderen entführt hat. Und mich   … mich hat er in eine Untote verwandelt. In eine Fast-Gestorbene ohne Gedächtnis.«
    Ihre Hände ballten sich um Rouvens Hände. »Es tut mir alles so leid, Rouven!«
    Rouven saß ihr gegenüber und blickte sie mit blankem Entsetzen an. »Dann war es also gar keine Krankheit, die dich befallen hatte? Du leidest nicht an Alzheimer oder einer anderen Demenzerkrankung? Jachael hat das alles zu verantworten?«
    Nana liefen Tränen über das Gesicht. »Es war alles Teil seines teuflischen Plans.«
    Rouven zog seine Hände zurück und ballte sie zu Fäusten. Teil eines teuflischen Plans, hallte es in ihm nach. Jachael hatte alles perfekt inszeniert. Er strebte nach Rache. Er wollte seine Revanche. Er wollte Rouven zur Verantwortung ziehen. Er wollte ihn leiden lassen, weil Rouven sich

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