Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sichelmond

Sichelmond

Titel: Sichelmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Gemmel
Vom Netzwerk:
untergebracht war: einige dünne goldene Ketten, eine Brosche und mehrere Ringe. Dann klemmte sich Tallwitz die Zunge zwischen die Lippen und fingerte hochkonzentriert in dem Kästchen herum. »Heureka!«, juchzte er schließlich und strahlte über das ganze Gesicht. Er hatte eine dünne Bodenplatte aus dem Inneren des Kästchens herausgetrennt. Darunter befand sich ein doppelter Boden. Und darin lag ein winziges Notizbuch. Gerade so groß wie eine Handfläche und gerade so dick, dass es in das Kästchen hineinpasste.
    Tallwitz strahlte aus seinen Augen, als habe er den Heiligen Gral entdeckt. »Ich vermute, Herr Mallert war handwerklich geschickt und hat seiner Frau dieses kleine Versteck verpasst.«
    Mayers blickte in die Schatulle und stieß einen Pfiff aus. »Mensch, Tallwitz, alter Frauenflüsterer. Keiner kennt das andere Geschlecht so gut wie du. Warum hast du nie geheiratet? Eine Frau hätte an deiner Seite den Himmel auf Erden gehabt.«
    Tallwitz winkte ab. »Ach was, bei unserem Beruf? Du weißt doch selbst   …«
    »Ja, ja«, fuhr ihm Mayers dazwischen. »Jetzt fang nicht wieder von den zwei Scheidungen an. Nimm mal lieber das Notizbuch da heraus!«
    Tallwitz zog das kleine Buch hervor und sah es sich genau an. Es war in goldenes Seidenpapier eingeschlagen, das einst mit viel Geschick angebracht worden war. Entsprechend vorsichtig hielt Tallwitz es nun in seinen Händen. Gerade so, als wolle er dem Buch Respekt zollen.
    Mayers hingegen griff unsanft danach und klappte es ohne Bedenken rasch auf. Doch dann stockte er in seiner Bewegung. »Mensch, Tallwitz«, zischte er zwischen den Zähnen hervor. »Volltreffer!« Er drehte das geöffnete Buch so herum, dass Tallwitz die erste Doppelseite sehen konnte. Mit rotem Stift war etwas hineingemalt worden. Eine Skizze. Mit viel Liebe und Feingefühl auf die Seiten gebracht: ein Sichelmond mit einer Vogelkralle darunter.

E ine angespannte Stimmung beherrschte den Raum. Rouven stand hinter dem Sessel. Seine Hände ruhten auf Nanas Schultern, um ihr Halt und Kraft zu geben. Mathida hatte sich auf einem Stuhl Nana gegenübergesetzt und begann, sich zu konzentrieren und in sich zu gehen.
    Nana wusste nicht recht, wie sie das alles einordnen sollte. Ihr Blick wanderte immer wieder von Rouven zu Mathida und wieder zurück.
    Tabitha war auf dem Sofa sitzen geblieben. Wie gefesselt beobachtete sie, was vor sich ging.
    »Aber was soll das alles?«, fragte Nana in die Stille hinein. Ihre Stimme zitterte, ihre Augen blickten verängstigt.
    Rouven versuchte, sie zu beruhigen. »Die Frau hat nur ein paar Fragen an dich. Mehr nicht. Es ist sehr wichtig, aber wenn du dich nicht wohlfühlst, dann lassen wir das.«
    Nana zögerte kurz. »Na gut, wenn es wichtig ist«, antwortete sie schließlich und schaute auf Mathida.
    »Können Sie mich gut verstehen?«, fragte Mathida.
    »Ja«, gab Nana zur Antwort. Und aus lauter Verlegenheit fügte sie hinzu: »Sie haben eine schöne Wohnung.«
    Rouven wiederholte ihre Worte für Mathida. »Sie kann Sie gut hören. Und sie lobt Sie für Ihren Geschmack.«
    Nana drehte sich empört auf dem Stuhl um. »Warum sagst du das?«
    »Ich hatte dir doch gesagt, dass sie Frauenstimmen nicht so gut versteht.«
    Nana grübelte. »Hattest du das gesagt?«
    »Vorhin, als wir hier ankamen.«
    »So, so. Dann macht das natürlich Sinn.« Nana wandte sich wieder Mathida zu. »Das tut mir leid für Sie«, sagte sie und gab Rouven einen Stups gegen die Hand. »Sag ihr das.«
    Rouven lächelte. »Ich denke, wir können anfangen«, sagte er.
    Mathida beugte sich weit vor zu Nana. Sie empfand die ganze Situation als völlig absurd. Sie sprach auf einen Sessel ein. Sie konnte Nanas Gesicht nur erahnen. Ihren Blick hielt Mathida auf einen Fussel gerichtet, der an dem Sessel in der ungefähren Höhe steckte, in der Mathida Nanas Augen vermutete. Ihre Worte richtete sie an diesen Fussel. Es fiel ihr schwer, sich darauf zu konzentrieren. »Wir machen eine kleine Übung vorab. Etwas, das Sie entspannen lässt. Ich hoffe, Sie mögen kleine Entspannungen.«
    »Gern«, antwortete Nana, und Rouven nickte Mathida die Antwort zu.
    »Dann schließen Sie jetzt die Augen, Nana«, bat Mathida, doch Rouven schüttelte den Kopf.
    »Entschuldigen Sie, Mathida. Könnten Sie Nana mit dem Namen Rosemarie ansprechen? Das ist ihr eigentlicher Name. Nana ist bloß ein Kosewort.«
    »Natürlich. Gern.« Mathidas Fussel an der Sessellehne hatte nun also den Namen Rosemarie. Mit jeder

Weitere Kostenlose Bücher