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Sichelmond

Sichelmond

Titel: Sichelmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Gemmel
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gedacht. Ich habe die Akte vorhin ebenfalls gelesen. Das arme Mädchen   …«
    Und damit verfielen beide in grüblerisches Schweigen.

W er bist du?«, eröffnete Tabitha das Gespräch. »Und wer ist sie?«
    Die beiden saßen sich auf Rouvens Bett gegenüber. Zwischen zwei riesigen Rohren hatte sich Rouven sein Reich eingeräumt: eine Matratze, die genau zwischen die beiden Rohre passte und die übersät war mit Kissen und Decken. Über dem Kopfende gab es einen alten goldfarbenen Wecker und einige Bücherstapel. Daneben standen verschiedene Becher und eine größere Kiste, in der Rouven seine Kleidung aufbewahrte.
    Und obwohl Tabitha es in dieser merkwürdigen Behausung nicht vermutet hätte, wirkte alles geordnet, ja beinahe aufgeräumt. Zwar lag vor allem auf den Rohren dicker Staub, doch ansonsten wirkte dieses Zuhause recht sauber.
    »Wer ich bin? Wer sie ist?« Rouven verzog das Gesicht. »Endlich sprichst du. Doch die einzigen Fragen, die du stellst, sind die, auf die ich keine Antwort weiß.«
    Tabitha drehte nachdenklich den Kopf. »Du weißt nicht, wer du bist?«
    »Ich weiß nicht einmal, woher ich komme.«
    »Was?«
    Rouven fuhr sich mit der Hand über die Stirn. Er wirkte verzweifelt, als er fortfuhr. »Ich besitze keinerlei Erinnerung an meine Kindheit. Ich weiß nicht, wer meine Eltern sind oder wo mein eigentliches Zuhause liegt. Ich kann dir nicht einmal sagen, woher ich schreiben, lesen und rechnen kann oder die Dinge weiß, die ich weiß, denn an eine Schule kann ich mich auch nicht erinnern.«
    Tabitha rückte näher an ihn heran. »Ist das dein Ernst?«
    »Ich kann dir keine Namen von Freunden nennen, weil ich garnicht weiß, ob ich jemals welche hatte. Ja, selbst auf die Frage, ob ich schon mal ein Fahrrad oder ein Haustier hatte, könnte ich dir keine Antwort geben.«
    »Das ist unvorstellbar. Du lebst doch. Du warst einmal Kind. An irgendetwas musst du dich doch erinnern können.«
    Rouven ließ die Hand sinken und nickte. »Da ist etwas. Verschwommen. Manchmal in meinen Träumen. Dann, wenn ich halb schlafe und halb wach bin, dann sehe ich Bilder. Aber alles ohne Zusammenhang und in keinerlei Verbindung zueinander.«
    »Was für Bilder?«
    »Eindrücke. Wie Fotos. Ich sehe mich   – oder denke zumindest, dass ich es bin. Mal sitze ich mit einer riesigen Familie an einem Tisch, mal werde ich von einem Mann und einer Frau in eine Schule gebracht. Und beide sehen sehr vermögend aus. Oder aber ich sehe mich mit einem Schnitzmesser in der Hand, während ein alter Mann mir beibringt, wie man damit umgehen kann. Ich habe mich auch schon mal auf einem Schiff gesehen. Auf dem Meer, neben dem Kapitän, der mich anlachte, als kenne er mich schon seit Ewigkeiten. Ich   … habe auch   …« Nun griff sich Rouven mit beiden Händen an die Stirn. »Das alles ist so verworren. So verrückt.«
    Tabitha sprach beruhigend auf ihn ein: »Was könnte all das denn bedeuten? Diese Träume? Diese Bilder?«
    Rouven atmete hörbar aus. »Das ist es ja. Das alles ergibt keinen Sinn. Bin ich der Junge, den ich da in den unterschiedlichsten Familien sehe? Oder ist es nur ein Teil von mir? Sind es Wunschträume? Doch dafür ist das alles zu real. Ich spüre, dass diese Bilder etwas mit mir zu tun haben, doch ich finde keine Erklärung dafür.«
    »Lass es uns anders angehen. Woran kannst du dich noch gut erinnern? Was ist deine erste Erinnerung, von der du sicher bist, dass du sie wirklich erlebt hast?«
    »Ich stand vor der Tür zu diesem Wasserwerk.«
    »Wann war das?«
    »Vor wenigen Monaten.«
    Tabitha war sichtlich geschockt. »Das war’s? Das ist deine älteste Erinnerung?«
    Rouven zog die Schultern in die Höhe. »Alles davor ist entweder weg oder verschwimmt in diesen zahllosen Traumbildern, von denen ich nicht weiß, was sie mit mir zu tun haben.«
    Verblüfft lehnte sich Tabitha gegen eines der dicken Wasserrohre. »Das kann ich kaum glauben. Wie bist du hierhergekommen?«
    »Ich kann es dir nicht sagen. Meine Erinnerungen beginnen mit dem Moment, in dem ich vor der Stahltür stand, die du kennst. Es war ein Tag so wie heute. Ich war neugierig und ging hinein. Seither wohne ich hier.«
    »Die Möbel?«
    »Alles Dinge, die von den Leuten weggeworfen worden sind. Sperrmüll. Von mir gesammelt und hierher gebracht, in den vergangenen Monaten.«
    Tabitha grübelte: »Woher kennst du deinen Namen?«
    »Das ist das Einzige, was ich wirklich von mir weiß: Ich heiße Rouven. Doch wer mir den Namen gegeben

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