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Sichelmond

Sichelmond

Titel: Sichelmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Gemmel
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Rouven. Zwei Gestrandete an einem Meer, das nur aus Fragen besteht.
    Und aus Verzweiflung.
    Eine ganze Weile saßen sie auf diese Art auf der Matratze zwischen den Wasserrohren. Wie aus weiter Ferne drang die Stimme der Großmutter zu ihnen, die am Herd stand und vor sich hin sang. Undes war diese Stimme, die Tabitha allmählich wieder zur Ruhe kommen ließ.
    »Meine Eltern«, schluchzte sie erneut.
    Rouven rückte wieder ein Stück von ihr ab. Er wollte ihr nicht das Gefühl vermitteln, sie zu bedrängen. In keiner Weise.
    Tabitha wischte sich mit einem kleinen Kopfkissen die Tränen aus dem Gesicht. Es war ihr anzusehen, dass sich alles in ihr sträubte zu reden. Doch sie war sich bewusst, dass der Zeitpunkt gekommen war, sich zu öffnen. Sie musste die Erlebnisse der vergangenen Nacht mit jemandem teilen.
    »Ich kann mich nicht mehr an alles erinnern«, eröffnete sie ihre Rede. »Es ging wahnsinnig schnell. Das Erste, woran ich mich erinnere, ist diese Dunkelheit. Jemand hatte mir mit einem Tuch die Augen verbunden. Ich lag auf dem Boden und spürte, wie mich jemand in Windeseile an Händen und Füßen fesselte. Meine Strumpfhose wurde zerrissen und mir als Knebel in den Mund gesteckt. Und dann   … dann   …«
    Sie schüttelte sich. »Dann war es so furchtbar still. Verstehst du? Ich dachte, jetzt geschieht etwas mit mir. Aber ich hörte so gut wie nichts. Mal einen Schritt, mal ein dumpfes Pochen, aber nichts, das darauf hindeuten konnte, dass um mich herum ein Kampf tobte. Und dabei muss es doch so gewesen sein, denn die ganze Wohnung war doch verwüstet.«
    »Woran kannst du dich noch erinnern?«, forschte Rouven nach.
    »Brandgeruch. Und eine Hitze, die unerträglich war.« Tabithas Finger krallten sich in das Kopfkissen. »Ich lag auf dem Boden. Unfähig, mich zu bewegen, spitzte ich die Ohren. Ich lauschte. Ich spürte wohl, dass etwas um mich herum geschah, doch ich hörte einfach nichts!«
    Tiefer und tiefer gruben sich ihre Fingernägel in das Kissen. »Nichts! Es war nicht auszuhalten. Das alles war so unheimlich. So gruselig. Ich hatte einfach nur noch Angst! Ich versuchte mich zu erinnern, was vorher gewesen war. Was hatte ich getan? Wo war ichgewesen, bevor mir die Augen verbunden worden sind? Doch es fiel mir nicht mehr ein. Wie ausgelöscht in meinen Gedanken. Und dann diese Hitze und dieser Geruch. Ich dachte, die Wohnung steht in Flammen.«
    Ihre Hände entkrampften sich. Sie spürte, dass ihr das Reden guttat. Dass ihr Rouvens Nähe guttat. Und so berichtete sie weiter: »Wie lange ich dort gelegen habe, das kann ich dir nicht sagen. Plötzlich spürte ich, wie mich jemand am Arm packte. Ich schrie auf. Ich versuchte mich zu wehren, doch die Hand, die mich festhielt, war übermächtig. Verstehst du? Sie hielt mich nicht nur fest, sie unterdrückte jede Kraft in mir. Ich war kaum noch fähig, mich zu bewegen, solange diese Hand mich hielt. Ich spürte kaum noch etwas. Nur dass mir etwas in die Haut meines Unterarms schnitt. Ich versuchte wieder zu schreien. Doch selbst das gelang mir nicht. Und dann war sie wieder da, diese Ruhe. Diese unerträgliche Stille. Jemand ritzte etwas in meine Haut. Wie mit einem Messer. Erst, als diese Skizze in meinen Arm geritzt war, wie ich später sehen konnte, da wurde mir die Augenbinde abgenommen. Ich brauchte ein paar Sekunden, um mich wieder an das Licht zu gewöhnen, dann sah ich die ganze Verwüstung in der Wohnung.«
    »Und den Täter? Konntest du ihn sehen?«
    Tabitha ließ ihren Blick sinken. »Ich hab mich sofort nach ihm umgeschaut. Aber da war wieder nichts. Wieder konnte ich nichts sehen oder hören von ihm. Er war einfach verschwunden. Nicht einmal die Wohnungstür hörte ich ins Schloss fallen.«
    »Und dann?«
    »Ich hab meine Eltern gerufen. Wieder und wieder. Gerufen. Geschrien. Doch mir war schnell klar, dass sie verschwunden waren. Wieder habe ich überlegt, wo sie vor dem Angriff gewesen waren. Ob sie überhaupt hier gewesen sind. Doch ich konnte mich nicht erinnern. Und kann es noch immer nicht. Ich weiß nicht ein Detail von der Zeit, bevor ich mit dem Tuch über den Augen wach geworden bin. Das ist doch ungewöhnlich, oder?«
    Rouven wagte kaum zu fragen: »Wann hast du mich das erste Mal gesehen?«
    Sie sah ihm ins Gesicht. »Ich hatte dich eine lange Zeit nicht bemerkt«, gab sie zu. »Zunächst lag ich einfach nur auf dem Boden und war verzweifelt. Das alles war so schrecklich gewesen. Und so unheimlich. Dann aber bekam ich Angst,

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