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Sichelmond

Sichelmond

Titel: Sichelmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Gemmel
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Kinnbärtchen zitterte dieses Mal nicht. »Oh, Entschuldigung, ich hatte den Faden verloren. Um 860 ist in der besagten Urkunde von vermissten Familien die Rede. Laut dem, was Dr.   Dr. Weber in Erfahrung gebracht hatte, verschwand jede dieser Familien in einer Neumondnacht. Niemand konnte sich erklären, was dort vor sich ging. Und das in einer Zeit, die von Aberglauben und Missgunst geprägt war. Sie können sich vielleicht nicht vorstellen, was dies für die Bürger bedeutet hat, dass plötzlich Menschen aus ihrer Mitte spurlos verschwanden. Jeder verdächtigte jeden.«
    Nun war es Tallwitz, der es wagte, den Professor zu unterbrechen: »Weiß man, wie viele Familien verschwanden?«
    »Ja. Sehr genau sogar. Der Schreiber, der dieses Dokument erstellt hat, war sehr gewissenhaft und hat genauestens gearbeitet. Und das im Mittelalter. Der Fleiß dieses Mannes deutet auf die Wichtigkeit hin, mit der diese   …«
    »Wie viele Familien waren es denn?«, hakte Tallwitz nach.
    Und der Professor sagte: »Sechs.«
    Mayers dachte nach: »In unserem Fall sind es bisher fünf.«
    Auch Tallwitz grübelte: »Und auf den sechsten Übergriff bewegen wir uns gerade zu«, gab er zu bedenken. »Der Name Rouven hat sechs Buchstaben.«
    Mayers nickte. Dann wandte er sich wieder an den Historiker. »Herr Professor Dattel, können Sie uns sagen, was aus den sechs Familien geworden ist?«
    »Hat man sie gefunden?«, hakte Tallwitz nach.
    Der Professor genoss weiterhin die Aufmerksamkeit, wenngleich es ihn auch ein wenig störte, dass dieses Interesse nicht seiner Arbeit, sondern eigentlich der eines Kollegen galt. »Ja«, sagte er. »Man weiß es ganz genau. Ich sagte ja schon, dass der Schreiber sehr gewissenhaft war. In seinem Dokument hat er alles klar verzeichnet und festgehalten. So eindeutig, dass man heute noch   …«
    »Und? Was wurde aus ihnen?«
    »Mit einem Mal sind sie wieder aufgetaucht«, antwortete der Professor und blickte nun abermals in erstaunte Gesichter. »Ja, ich muss zugeben, auch ich war überrascht. Der Schreiber lässt aber keinen Zweifel an der Richtigkeit der Tatsache. Er beschreibt alles sehr exakt und genau. Demnach tauchten die sechs Familien wieder auf. Alle zwölf Personen. Erwähnte ich schon, dass stets nur Ehepaare entführt worden waren? Nun, alle zwölf tauchten plötzlich auf. In einer Neumondnacht. Allesamt unversehrt. Doch niemand von ihnen gab eine Erklärung ab. Bis heute weiß man nicht, was mit ihnen geschehen ist. Der Schreiber spricht von einer   … von einer   …« Professor Dattel klappte den Ordner auf seinen Knien auf und wühlte sich durch einige Seiten kopierter Dokumente, bis er schließlich auf einer bestimmten Seite innehielt. Mayers und Tallwitz konnten die mittelalterliche Handschrift sehen.
    Der Professor ließ seinen Finger über die Seite gleiten und las schließlich eine Stelle vor: »… Eid der zwölf Betroffenen. Einem Schwur der sechs Familien, niemals auch nur ein Wort von dem zu berichten, was geschehen war.« Der Professor klappte den Ordner wieder zu. »Und das war schon die ganze Geschichte. Ich weiß nicht,ob ich Ihnen wirklich weitergeholfen habe, aber Sie müssen zugeben, die Parallelen beider Situationen sind unverkennbar.« Er stellte den Ordner wieder auf der Erde ab, um anzudeuten, dass er sich dem Ende seines Vortrages näherte. »Auf jeden Fall wurde von diesen sechs Familien, von diesen zwölf Männern und Frauen, schließlich das Bauwerk errichtet, zu dessen Entstehung der werte   Dr. Dr. Weber   …«
    »Welches Gebäude?«, hakte Tallwitz nach.
    »Bitte?«
    »Sie sagten gerade, die sechs Familien hätten etwas gebaut. In dieser Stadt. Was genau?«
    »Oh, sagte ich das noch nicht? Bitte verzeihen Sie, ich war mir sicher, ich hätte es bereits erwähnt.«
    »Leider nicht«, pflichtete Mayers seinem Kollegen bei.
    Der Professor entschuldigte sich. »Wie nachlässig. Nun, bei dem Gebäude handelt es sich um die kleine Kapelle, die Sie sicherlich kennen, in der Nähe des Hafens. Am Friedhof. Sie wissen schon   … oder kennen bestimmt   … Hören Sie mir noch zu?« Der Professor entrüstete sich, denn Mayers und Tallwitz blickten sich an, als hätten sie eine Offenbarung.
    »Tallwitz«, sagte Mayers. »Zum ersten Mal nach Wochen habe ich das Gefühl, ein paar Fäden finden zusammen.«
    Tallwitz nickte. »Die Kapelle am Hafen. Der Fundort von Tabitha Berns.«
    Nun staunte auch der Professor. »Ah, das meinen Sie. Natürlich habe ich davon gehört.

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