Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sichelmond

Sichelmond

Titel: Sichelmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Gemmel
Vom Netzwerk:
Es ist einige Jahre her, nicht wahr? Aber diese Verbindung ist mir noch gar nicht   … Nein, so weit habe ich nicht   …« Er räusperte sich und nestelte wieder an seiner Fliege. »Wissen Sie, diese Kapelle hat für uns Historiker ja vor allem wegen des außergewöhnlichen Fensterbildes einen unschätzbaren Wert. Dieses Bild ist auf der ganzen Welt bei Fachleuten bekannt.«
    Es war ihm gelungen. Nun hatte der Professor wieder die ganze Aufmerksamkeit von Mayers und Tallwitz auf sich gelenkt. »So? Warum?«
    »Es ist eines der ersten Fensterbilder der Menschheit. Und eigentlich gehört es in ein Museum. Das Motiv ist nie recht geklärt worden. Sie haben es gewiss vor Augen: der geflügelte Jüngling und das stierähnliche Wesen.«
    Nun mussten Mayers und Tallwitz ihr Unwissen einräumen.
    »Ich hatte noch nicht die rechte Zeit gefunden, die Kapelle einmal genauer anzuschauen«, versuchte Mayers sich herauszureden.
    Und Tallwitz meinte: »Ich wusste gar nicht, dass die Kapelle so berühmt ist.«
    »Wie gesagt, es ist vor allem das Bildnis«, sagte der Professor und freute sich, erneut ein Referat halten zu können: »Das Motiv selbst war von den sechs Familien bereits um 860 auf die kahle Wand geworfen worden. Archäologen haben Spuren davon in der Wand selbst gefunden. Doch später, als die Glaskunst aufkam, da hat man eiligst dieses Bild auf ein Fensterbild angebracht. Auf das Bild, das heute noch dort zu bewundern ist.«
    »Weiß man, wen die Figuren darauf darstellen?«, hakte Mayers nach.
    Dattel schüttelte den Kopf. »Man dachte zuerst, es handele sich um einen Engel. Wegen der Flügel an dem Rücken der einen Figur. Doch diese Überlegung verwarf man recht schnell, denn es handelt sich eindeutig um Vogelflügel. Auch die krallenartigen Füße dieses Wesens verstärken die Theorie, dass es kein Heiliger sein kann. Nirgendwo hat man bisher auch nur ein ähnliches Heiligenbild gesehen.«
    »Vogelkrallen, sagen Sie«, murmelte Mayers nachdenklich. Er hatte längst begonnen, sich Notizen zu machen.
    »Und der stierähnliche Kerl?«, fragte Tallwitz. »Haben wir es da mit einem Monster zu tun? Wie ein Werwolf, bloß als Stier? Ein Wer-Stier??«
    Der Professor lachte laut auf. »Ach du liebe Güte. Wie kommen Sie denn darauf? Kaufen Sie Ihre Literatur derzeit von der Startseite der Online-Buchhandlungen?« Er war sichtlich amüsiert. »Werwölfe. Nein, das scheidet ganz aus. Keine Frage.«
    Wenn Tallwitz ein Kinnbärtchen getragen hätte, dann hätte es in diesem Moment gezittert. Hier saß er und musste sich auslachen lassen.
    »Was glauben Sie denn, was es darstellt?«, fragte er in einem Tonfall, der seinen Ärger überdecken sollte, doch es gelang ihm nicht.
    »Man weiß es nicht. Man vermutet, es stellt nur irgendeine hässliche Kreatur dar, um den Helden   – den mit den Vogelflügeln   – gut aussehen zu lassen.«
    Mayers blickte von seinen Notizen auf. »Also ist das Ganze kein biblisches Motiv?«
    »Nein. Ganz eindeutig nicht. Wir haben es hier nicht mit Religion zu tun, meine Herren«, sagte der Professor bestimmt und kicherte noch einmal in Richtung Tallwitz: »Und auch nicht mit Werwölfen oder Vampiren oder Poltergeistern oder was Ihnen sonst in dieser Richtung einfallen mag.«
    »Danke!«, sagte Mayers. »Sie haben uns sehr geholfen.«
    »Das ganze Bild ist ein einziges Rätsel«, ergänzte Professor Dattel noch schnell. Er erhob sich bereits von seinem Platz, um zu gehen. »Nicht nur, dass man die Figuren darauf nicht zuordnen kann, es hat auch eine eigene Symbolik. Bis heute konnte niemand erklären, wofür das Bild dieses Kampfes stellvertretend stehen soll. Oder was der Sichelmond und die Vogelkralle bedeuten, die oben in der Ecke   …«
    »Vogelkralle?«
    »Sichelmond?«
    Mayers und Tallwitz blickten sich wieder an wie kurz zuvor.
    »Ja. Eindeutig«, sagte der Professor. »Ist das wichtig?«
    Mayers strahlte über das ganze Gesicht. »Lieber Herr Professor«, sagte er. »Es fügen sich gerade nicht nur ein paar Fäden zusammen, ich habe das Gefühl, ganze Wollknäuel verweben sich gerade und   …«
    Ein brummendes Geräusch unterbrach ihn. Tallwitz’ Magen grummelte so laut, dass Mayers lachen musste. »Ich habe eine Idee, Herr Professor. Ich lade Sie und meinen Kollegen zum Essen ein. Als Dank für Ihre wunderbare Arbeit. Was halten Sie davon?«
    »Gern. Wenn es nicht gerade Currywurst oder Döner sein muss.«
    Nun lachte auch Tallwitz. »Nein, keine Angst, Herr Professor, mein Magen

Weitere Kostenlose Bücher