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Titel: Sie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Rider Haggard
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ihren stummen Bedienten, die es natürlich gewohnt waren, alles, was sie sahen, für sich zu behalten.
    Nach wenigen Minuten schritten wir flott über die große bebaute Ebene, die wie ein riesiger Smaragd inmitten der sie umgebenden düsteren Felsen lag, und wiederum staunten wir über den merkwürdigen Ort, den das alte Volk von Kôr für seine Hauptstadt auserwählt hatte, sowie über das wunderbare Maß an Arbeit, Erfindungsgeist und technischer Begabung, das die Gründer der Stadt aufgewandt haben mußten, um eine so große Wasserfläche trockenzulegen und in der Folge vor Überschwemmungen zu bewahren. Es ist in der Tat, soweit ich dies beurteilen kann, ein unvergleichlicher Beweis für die Fähigkeit des Menschen, die Natur zu zähmen, denn meiner Meinung nach können sich selbst der Suezkanal oder der Mont-Cenis-Tunnel mit dieser uralten Anlage, was Größe und Großartigkeit der Konzeption betrifft, nicht messen.
    Nachdem wir etwa eine halbe Stunde marschiert waren und die erfrischende Kühle genossen hatten, die sich wie immer um diese Tageszeit auf die Ebene von Kôr herabsenkte, tauchten die Ruinen der großen Stadt auf, von denen Billali uns erzählt hatte. Schon von weitem sahen wir, wie prächtig diese Ruinen waren. Die Stadt war im Vergleich zu Theben, Babylon oder anderen Städten des fernen Altertums nicht sehr groß; ihre Außenmauer mochte etwa eine Fläche von zwölf Quadratmeilen oder ein wenig mehr umschließen. Auch schienen die Mauern, soviel wir, als wir sie erreichten, erkennen konnten, nicht sehr hoch gewesen zu sein, vermutlich nicht mehr als vierzig Fuß, denn diese Höhe hatten sie auch jetzt noch an Stellen, wo sie nicht in den Boden gesunken oder aus irgendeinem Grunde eingestürzt waren. Wahrscheinlich lag dies daran, daß das Volk von Kôr, gegen Angriffe von außen geschützt durch viel stärkere Festungswälle, als Menschenhand sie je errichten konnte, diese Mauern nur zur Schau und vielleicht zum Schutz vor inneren Unruhen gebaut hatte. Dafür waren sie jedoch ebenso breit wie hoch und bestanden zur Gänze aus behauenen Steinen, die ohne Zweifel aus den Höhlen stammten. Umgeben waren sie von einem großen, etwa sechzig Fuß breiten Graben, der an manchen Stellen immer noch mit Wasser gefüllt war. Ungefähr zehn Minuten vor Sonnenuntergang erreichten wir diesen Graben, stiegen in ihn hinab, durchquerten ihn, über die Trümmer einer alten Brücke kletternd, und erklommen mit einiger Mühe auf seiner anderen Seite die Mauer. Ich wünschte, ich besäße die Fähigkeit, von der Großartigkeit des sich uns bietenden Anblicks auch nur eine leise Vorstellung zu vermitteln. Vor uns erstreckten sich, in die rote Glut der untergehenden Sonne getaucht, Meilen und Meilen von Ruinen – Säulen, Tempel, Altäre und königliche Paläste, unterbrochen hier und dort von grünem Buschwerk. Die Dächer dieser Bauten waren natürlich längst eingestürzt und verschwunden, die meisten der Zwischenmauern und hohen Säulen dank der Härte und Dauerhaftigkeit des verwendeten Felsgesteins jedoch noch erhalten. *
    Unmittelbar vor uns lag eine Straße, die offenbar einst die Hauptverkehrsader der Stadt gewesen war, denn sie war sehr breit und regelmäßig angelegt. Sie bestand, wie wir bald darauf entdeckten, gleich den Mauern aus behauenen Steinblöcken, zwischen denen nur wenig Gras und Strauchwerk wuchs, da es ihm an dem zum Gedeihen notwendigen Erdreich mangelte. Die einstigen Parks und Gärten hingegen bildeten ein undurchdringliches Dickicht. Man konnte deshalb selbst aus einiger Entfernung an dem verdorrten, spärlichen Gras deutlich den Lauf der verschiedenen Straßen erkennen. Zu beiden Seiten dieser breiten Durchfahrtstraße ragten riesige Blöcke von Ruinen auf, deren jeder vom nächsten durch eine freie Fläche getrennt war; vermutlich hatten sich dort einst Gärten befunden, jetzt wucherte nur dichtes, verfilztes Buschwerk. Sie bestanden durchwegs aus dem gleichen farbigen Gestein, und vor den meisten erhoben sich hohe Säulen, soweit wir dies bei dem schwindenden Licht erkennen konnten, als wir die Hauptstraße, die sicherlich seit Jahrtausenden keines Menschen Fuß betreten hatte, rasch durchschritten. *
    Bald stießen wir auf ein riesiges Gebäude, in dem wir einen Tempel erkannten, der mindestens eine Fläche von acht Morgen bedeckte und aus einer Reihe von Höfen bestand, welche, gleich den chinesischen Bauten, so angelegt waren, daß jeder jeweils einen kleineren umschloß, einer vom

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