Sie
Minuten unter Wasser gewesen – dabei waren es nur Sekunden. Ich blickte nach vorn. Das Großsegel hatte sich losgerissen und flatterte hoch in der Luft wie ein riesiger verwundeter Vogel. Einen Augenblick herrschte Stille, und ich hörte, wie Job verzweifelt schrie: »Kommt hierher ins Boot!«
Obwohl halb betäubt, hatte ich doch genug Besinnung, zum Heck zu stürzen. Ich spürte, wie die Dhau unter mir sank – sie war voll Wasser. Unter ihr schwankte das Walboot wild hin und her, und ich sah, wie Mahomed, der arabische Steuermann, hineinsprang. Verzweifelt zerrte ich an dem Tau, um das Boot näher heranzubringen; dann sprang auch ich und rollte, von Job an einem Arm aufgefangen, über den Boden des Bootes. Die Dhau versank rasch in der Tiefe. Mahomed zog im letzten Moment sein krummes Messer, kappte das Tau, das uns mit ihr verband, und wir sausten, vom Sturm getrieben, über die Stelle, wo eben die Dhau noch gewesen war.
»Großer Gott«, schrie ich, »wo ist Leo? Leo! Leo!«
»Er ist ertrunken, Sir, Gott sei ihm gnädig!« brüllte mir Job ins Ohr, doch in der rasenden Bö klang es wie ein leises Flüstern.
In tiefster Pein rang ich die Hände. Leo ertrunken, und ich am Leben, ihn zu betrauern!
»Achtung«, schrie Job, »da kommt noch eine!«
Ich drehte mich um; eine zweite riesige Woge brach über uns herein. Fast hoffte ich, in ihr umzukommen. Wie gebannt blickte ich ihr entgegen. Der Mond war jetzt von Wolkenfetzen fast verdeckt, doch sein Licht reichte aus, auf ihrem Kamm etwas Dunkles zu erkennen – einen Teil des Wracks, wie mir schien. Jetzt schlug sie über uns zusammen und füllte das Boot fast bis zum Rand mit Wasser. Doch dank der wasserdichten Abteile – der Himmel segne ihren Erfinder! – richtete es sich wieder auf wie ein Schwan. Durch die Gischt sah ich das schwarze Etwas auf der Woge auf mich zustürzen. Ich hob den rechten Arm, um es abzuwehren, und da schloß sich meine Hand um einen anderen Arm, um ein Handgelenk, das ich mit aller Kraft umklammerte. Obwohl ich sehr kräftig bin, drohten das Gewicht und der Druck des treibenden Körpers mir fast den Arm auszurenken, und hätte die Sturzsee sich noch zwei Sekunden länger über uns ergossen, so hätte ich loslassen müssen oder wäre mitgerissen worden. Doch sie ging schnell vorbei, und wir standen bis zu den Knien im Wasser.
»Ausschöpfen! Ausschöpfen!« schrie Job und machte sich unverzüglich ans Werk.
Ich konnte mich jedoch nicht sogleich ans Ausschöpfen machen, denn in diesem Augenblick fiel ein letzter Strahl des hinter Wolken verschwindenden Mondes auf das Gesicht des Mannes, den ich gepackt hatte und der jetzt, halb schwimmend, auf dem Boden des Bootes lag.
Es war Leo! Die Woge hatte Leo zurückgebracht – tot oder lebendig, zurück aus den Klauen des Todes.
»Ausschöpfen!« schrie Job immer noch. »Sonst kentern wir!«
Ich ergriff ein großes Zinngefäß, das unter einem der Sitze angebracht war, und wir schöpften zu dritt aus Leibeskräften. Der Sturm fegte über uns hinweg und schleuderte das Boot hin und her, und der Wind und die salzige Gischt blendeten und verwirrten uns, doch wir arbeiteten mit der wilden Lust der Verzweiflung. Eine Minute! Drei Minuten! Sechs Minuten! Langsam hob das Boot sich aus dem Wasser, und zum Glück brach keine weitere Woge über uns herein. Nach weiteren fünf Minuten war das Boot wieder einigermaßen klar. Plötzlich aber übertönte das schreckliche Geheul des Orkans ein dumpfes, tieferes Brausen. Großer Gott! Es war die Stimme der Brandung!
In diesem Augenblick trat hinter der Bö der Mond wieder aus den Wolken hervor. Weit vor uns, jenseits des aufgewühlten Ozeans, fielen seine Strahlen auf einen dünnen Schaumstreifen, und dahinter sahen wir ein kurzes Stück gähnenden Dunkels, dem ein zweiter weißer Streifen folgte. Es war die Brandung, und ihr Tosen wurde immer lauter und klarer, während wir wie eine Schwalbe auf sie zuschossen. Kochend und schäumend lag sie vor uns wie ein Höllenrachen.
»Ans Steuer, Mahomed!« schrie ich auf arabisch. »Wir müssen durch!« Zugleich ergriff ich ein Ruder und bedeutete Job, es mir gleichzutun.
Mahomed kletterte nach hinten und packte das Steuer, und Job, der manchmal auf einem Fluß in der Heimat mit einem Boot gefahren war, steckte sein Ruder ins Wasser. In der nächsten Minute richtete sich der Bug des Bootes auf die Schaummassen, denen wir uns mit der Schnelligkeit eines Rennpferdes näherten. An der Stelle, auf die wir
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