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Titel: Sie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Rider Haggard
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zurasten, schien die erste Brandungslinie etwas schmaler zu sein als rechts und links davon – anscheinend war dort eine Rinne mit tieferem Wasser. Ich drehte mich um und deutete darauf.
    »Steure gut, Mahomed!« schrie ich. »Es geht um unser Leben!« Der Araber, ein geschickter, mit den Tücken dieser gefährlichen Küste wohlvertrauter Steuermann, umklammerte fest das Steuer, beugte sich weit vor und starrte mit weitaufgerissenen Augen auf das Höllengebrodel. Der Sog trieb den Bug des Bootes nach Steuerbord. Wenn wir fünfzig Meter rechts von der tieferen Stelle in die Brandung gerieten, waren wir verloren. Mahomed stemmte einen Fuß gegen den Sitz vor sich, und ich sah, wie seine braunen Zehen sich wie eine Hand spreizten, als er mit aller Kraft das Ruder herumriß. Das Boot machte eine kleine Schwenkung, doch sie reichte nicht aus. Ich brüllte Job zu, er solle Wasser schöpfen, während ich an meinem Ruder zerrte. Endlich gehorchte das Boot – keine Sekunde zu früh.
    Himmel, wir waren mittendrin! Es folgten Minuten nervenzerreißender Aufregung, die sich nicht schildern lassen. Ich entsinne mich nur noch eines brüllenden Schaumgebirges, aus dem da und dort Wellen emporstiegen wie Rachegeister aus ihrem Ozeangrab. Einmal wurden wir rundherum gewirbelt, doch entweder durch einen glücklichen Zufall oder durch Mahomeds geschicktes Steuern kam das Boot wieder in die richtige Lage, bevor eine Sturzwelle über uns zusammenschlug – ein wahres Ungeheuer. Wir rasten unter ihr hindurch, und dann schossen wir unter einem wilden Freudenschrei des Arabers über das verhältnismäßig glatte Wasser zwischen den beiden Brandungen.
    Indessen war das Boot bereits wieder halb voll Wasser, und kaum eine halbe Meile vor uns erhob sich die zweite Brandungswelle. Wieder machten wir uns daran, mit allen Kräften das Wasser auszuschöpfen. Glücklicherweise hatte der Sturm nachgelassen, und im hellen Mondschein erblickten wir ein über eine halbe Meile weit ins Meer hineinragendes Vorgebirge, dessen unter Wasser befindlicher Teil die Ursache dieser zweiten Brandungslinie zu sein schien. Das Ende dieses Vorgebirges bildete eine etwa eine Meile von uns entfernte Felskuppe. Gerade als wir das Boot zum zweitenmal einigermaßen klargemacht hatten, schlug Leo zu meiner ungeheuren Erleichterung die Augen auf und murmelte benommen, seine Kleider seien vom Bett gefallen, und es sei an der Zeit, sich fertigzumachen, um zur Kirche zu gehen. Ich sagte ihm, er solle die Augen wieder schließen und sich ganz ruhig verhalten, was er, ohne von unserer gefährlichen Lage etwas zu bemerken, sofort tat. Mich erfüllte seine Bemerkung über die Kirche mit wildem Heimweh nach meiner gemütlichen Wohnung in Cambridge. Wie hatte ich nur so töricht sein können, sie zu verlassen!
    Doch jetzt näherten wir uns wieder der Brandung, wenn auch mit verminderter Geschwindigkeit, denn der Wind hatte nachgelassen, und wir wurden nur noch von der Strömung oder der Flut getrieben – wie sich später herausstellte, war es die Flut.
    Eine Minute später waren wir unter lautem Allahgeschrei des Arabers, einem Stoßgebet von mir und Jobs Flüchen wieder mitten darin. Das schreckliche Schauspiel wiederholte sich, wenn auch diesmal nicht ganz so heftig, und Mahomeds geschicktes Steuern und die wasserdichten Abteile retteten uns das Leben. Binnen fünf Minuten waren wir durch und wurden, da wir vor Erschöpfung nichts weiter tun konnten, als ungefähr den Kurs des Bootes zu halten, mit beängstigender Schnelligkeit um das vorhin erwähnte Vorgebirge herumgetrieben.
    Wir waren schon auf seiner anderen Seite, als unsere Geschwindigkeit plötzlich nachließ und wir schließlich fast ganz zum Stehen kamen. Wir schienen in einem toten Gewässer zu sein. Der Sturm hatte sich gänzlich gelegt und einen klaren blauen Himmel hinterlassen. Der durch den Sturm hervorgerufene schwere Seegang brach sich an dem Vorgebirge, und die Flut, die so wild den Fluß hinaufgeströmt war – wir befanden uns jetzt in einer Flußmündung –, hatte ihre Kraft verloren. Während wir so ruhig dahintrieben, schöpften wir, bevor der Mond unterging, das Wasser aus dem Boot und richteten es wieder her, so gut es ging. Leo schlief fest, und ich hielt es für das klügste, ihn nicht zu wecken. Zwar waren seine Kleider durchnäßt, doch die Nacht war jetzt so warm, daß dies nach meiner – und Jobs – Ansicht einem Mann von so robuster Konstitution nicht schaden konnte. Überdies hatten wir ja

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