Sie
deutete auf einige Skulpturen an der Felswand –, »dreimal zweitausend Jahre sind vergangen, seit die letzten des großen Volkes, das diese Bilder schuf, dem giftigen Hauch der Pest erlagen, die sie zerstörte, doch tot sind sie nicht. Sie leben heute noch, und vielleicht sind ihre Geister in dieser Stunde bei uns.« Sie blickte um sich. »Manchmal scheint es mir, als könnten meine Augen sie sehen.«
»Ja, aber für die Welt sind sie tot.«
»Gewiß, für eine Weile; doch auch für die Welt werden sie immer wieder neugeboren. Ich, ja, ich, Ayesha – denn so, Fremdling, heiße ich – sage dir: ich warte hier auf die Wiedergeburt eines Mannes, den ich einst liebte, ich harre hier aus, bis er mich findet, denn ich weiß ganz sicher, hierher wird er kommen, hier und nur hier wird er mich begrüßen. Warum, glaubst du, daß ich, die ich allmächtig bin, die ich schöner bin als die vielbesungene griechische Helena, deren Wissen größer, ja weit größer und tiefer ist als das Wissen des weisen Salomon – ich, die ich die Rätsel der Erde und alle ihre Schätze kenne und Macht über alle Dinge habe –, ich, die ich sogar für eine Weile die Wandlung, die ihr Tod nennt, überwunden habe – warum, o Fremdling, glaubst du, daß ich hier unter Barbaren hause, welche tiefer stehen als wilde Tiere?«
»Ich weiß es nicht«, sagte ich demütig.
»Weil ich auf den warte, den ich liebe. Mag sein, daß ich ein sündhaftes Leben geführt habe – ich weiß es nicht, denn wer vermag zu sagen, was gut ist und was böse? Deshalb fürchte ich mich zu sterben, wenn ich sterben könnte – doch ich kann es nicht, bevor meine Stunde kommt, zu gehen und ihn zu suchen; denn zwischen uns, so fürchte ich, könnte sich ein Wall erheben, den zu übersteigen mir nicht möglich wäre. Auch könnte ich leicht den Weg verlieren, wenn ich ihn in jenen ungeheuren Sphären suchte, in denen ewig die Planeten ihre Bahn ziehen. Doch der Tag wird kommen, vielleicht erst, wenn fünftausend weitere Jahre dahingegangen sind, vielleicht schon morgen – der Tag, an dem er, mein Geliebter, wiedergeboren wird, und dann wird er mich, einem Gesetze folgend, das stärker ist als jeder menschliche Plan, hier finden, wo er einst mich kannte, und ich bin sicher, er wird mir, obgleich ich gegen ihn gesündigt, sein Herz wieder schenken; ja selbst wenn er mich nicht mehr kennen sollte, wird er mich lieben, und sei es nur um meiner Schönheit willen.«
Ich war zutiefst verwirrt und wußte keine Antwort. Das Ganze ging über meinen Verstand.
»Selbst wenn es so ist, o Königin«, sagte ich schließlich, »selbst wenn wir Menschen immer wieder neugeboren werden, so trifft es doch nicht auf dich zu, wenn du die Wahrheit sprichst.« Sie blickte plötzlich auf, und wieder traf mich der Blitz ihrer verhüllten Augen. »Du bist«, fügte ich rasch hinzu, »nie gestorben, wie du sagst?«
»So ist es«, sagte sie. »Denn ich habe, halb durch Zufall, halb durch Forschen, eines der großen Rätsel der Welt gelöst. Sage doch selbst, Fremdling: Das Leben ist – warum also sollte es nicht um eine Weile verlängert werden können? Was sind zehn- oder zwanzig- oder fünfzigtausend Jahre in der Geschichte des Lebens? In zehntausend Jahren vermindern Sturm und Regen einen Berggipfel kaum um eine Handbreit. In zweitausend Jahren haben diese Höhlen sich nicht verändert, nichts hat sich verändert, nur die Tiere und die Menschen, die den Tieren gleichen. Wenn du doch nur begreifen würdest, daß daran gar nichts Wunderbares ist! Das Leben selbst ist ohne Zweifel wunderbar, doch daran, daß es ein wenig verlängert werden kann, ist nichts Wunderbares. In der Natur wohnt der Geist des Lebens ebenso wie im Menschen, der ein Kind der Natur ist, und wer diesen Geist findet und ihn einatmet, der lebt von ihrem Leben. Er lebt nicht ewig, denn die Natur ist nicht ewig und muß auch sterben, so wie die Natur des Mondes gestorben ist. Auch sie, sage ich, muß sterben oder besser: sich wandeln und schlafen, bis sie wieder neugeboren wird. Doch wann wird sie sterben? Noch nicht so bald, glaube ich, und solange sie lebt, lebt auch der, der das Geheimnis ihres Lebens ergründet hat. Ganz ist es mir noch nicht gelungen, doch zum Teil – mehr jedenfalls als irgend jemandem vor mir. Ein andermal will ich dir mehr davon erzählen, wenn ich in der rechten Stimmung dazu bin; vielleicht aber auch werde ich nie mehr davon reden. Wundert es dich, woher ich wußte, daß ihr in dieses Land kamt,
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