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Titel: Sie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Rider Haggard
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schön, so ungemein schön dies alles war, ihre Schönheit lag nicht darin. Sie lag in einer erhabenen Majestät, einer königlichen Anmut, in einem göttlichen Ausdruck der Macht, der dieses strahlende Antlitz wie ein Glorienschein umgab. Ich hatte nie auch nur geahnt, wie erhaben Schönheit sein kann – und dennoch war es eine düstere Erhabenheit, eine Schönheit, die bei all ihrer Pracht keine himmlische war. Obgleich das Gesicht vor mir das einer jungen Frau von höchstens dreißig Jahren von vollkommener Gesundheit war, vom Schmelz gereifter Schönheit überhaucht, trug es doch einen Ausdruck unaussprechlicher Erfahrung und tiefster Vertrautheit mit Leidenschaft und Leid. Auch nicht das liebreizende Lächeln, das um die Grübchen ihres Mundes spielte, konnte diesen Schatten von Sünde und Sorge verbergen. Er verdüsterte sogar das Strahlen ihrer Augen und die Majestät ihrer Züge und schien zu sagen: ›Siehe, mich, die ich schöner bin als jedes andere Weib, und unsterblich und halb göttlich, verfolgt die Erinnerung durch alle Zeiten, hält die Leidenschaft gefangen – gesündigt habe ich, und Leid erfüllt mich seit undenklichen Zeiten, und ich werde hinfort sündigen und leiden, bis meine Erlösung kommt.‹
    Angezogen von einer magnetischen Kraft, der ich nicht widerstehen konnte, blickte ich in ihre schimmernden Augen und spürte, wie ein Strom von ihnen in mich floß, der mich verwirrte und betäubte.
    Sie lachte – ach, wie wohlklingend! – und nickte mir mit einer Koketterie zu, die einer Venus Victrix alle Ehre gemacht hätte.
    »Vorwitziger!« sagte sie, »wie Aktäon hattest du nun deinen Willen; gib acht, daß du nicht gleich Aktäon elend zugrunde gehst, zerfetzt von den Hunden deiner Leidenschaft. Auch ich, o Holly, bin eine jungfräuliche Königin, die keinem Manne gehören wird, bis auf einen, und der bist du nicht. Hast du nun genug gesehen?«
    »Ich sah die Schönheit, und ich bin geblendet«, sagte ich heiser und hob die Hand, um meine Augen zu bedecken.
    »Ich habe dich gewarnt! Schönheit gleicht dem Blitz, sie ist lieblich, doch sie zerstört – vor allem Bäume, o Holly!« – und wieder nickte sie und lachte.
    Plötzlich verstummte sie, und ich sah durch meine Finger, wie ihr Gesicht sich schrecklich veränderte. Ihr großen Augen nahmen einen starren Ausdruck an, in dem Entsetzen mit einer aus den Tiefen ihrer dunklen Seele aufsteigenden wahnwitzigen Hoffnung zu kämpfen schien. Das liebliche Antlitz wurde starr, und ihre anmutige, geschmeidige Gestalt richtete sich auf.
    »Mann!« sagte sie halb flüsternd, halb zischend und warf den Kopf zurück wie eine Schlange, die sich zuzustoßen anschickt, »woher stammt der Skarabäus an deiner Hand? Sprich, oder beim Geist des Lebens – ich zerschmettere dich auf der Stelle!« Sie trat einen kleinen Schritt auf mich zu, und in ihren Augen flackerte ein so furchtbares Licht – es erschien mir fast wie eine Flamme –, daß ich mich vor ihr zu Boden warf und in meinem Schrecken wirre Worte stammelte.
    »Friede«, sagte sie, plötzlich wieder mit ihrer früheren sanften Stimme sprechend, »ich habe dich erschreckt! Verzeih mir! Doch zuweilen, o Holly, erfüllt selbst einen fast unendlichen Geist die Langsamkeit des Endlichen mit Ungeduld, und mich überkommt die Versuchung, vor Zorn von meiner Macht Gebrauch zu machen – beinahe hätte ich dich getötet, doch ich besann mich beizeiten. – Aber der Skarabäus – woher hast du ihn?«
    »Ich fand ihn«, stieß ich hervor, indem ich mich wieder aufrichtete, und ich war in der Tat so verwirrt, daß ich mich an nichts weiter erinnern konnte, als daß ich ihn in Leos Kammer aufgehoben hatte.
    »Überaus seltsam«, sagte sie, und dabei begann sie plötzlich auf echt weibliche Art, die zu dem furchtbaren Wesen gar nicht zu passen schien, zu zittern, »– doch ich kannte einst einen Skarabäus wie diesen. Er – hing am Halse eines – den ich liebte«, und sie schluchzte leise, woran ich merkte, daß sie trotz allem doch nur ein Weib war, wenngleich vielleicht auch ein sehr altes.
    »Es muß ein Zwilling davon sein«, fuhr sie fort, »doch ich habe noch nie einen zweiten gesehen; es war eine Geschichte mit ihm verknüpft, und der, welcher ihn trug, schätzte ihn sehr hoch. Doch der Skarabäus, den ich kannte, saß nicht wie dieser an einem Ring. Geh jetzt, Holly, geh, und versuche zu vergessen, daß deine Torheit dich trieb, Ayeshas Gesicht anzusehen«, und sich von mir wendend, warf sie sich

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