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Sie kam, sah und liebte

Sie kam, sah und liebte

Titel: Sie kam, sah und liebte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gibson Rachel
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umwerfend.
    Er öffnete die Tür, und seine Pläne für den Tag fielen in sich zusammen, als er über einen blauen North-Face-Rucksack auf dem hellen Teppich stolperte. Eine rote Snowboarder-Jacke lag auf dem marineblauen Ledersofa, Ringe und Armreifen stapelten sich auf einem der Beistelltischchen aus Schmiedeeisen und Glas. Rap-Musik dröhnte aus seiner Stereoanlage, und auf dem Großbildschirm führte Shaggy seine Verrenkungen vor.
    Marie. Marie war schon zu Hause.
    Auf dem Weg durch den Flur warf Luc im Vorbeigehen den Rucksack und seine Tasche auf das Sofa. Er klopfte an eine der drei Schlafzimmertüren und öffnete sie einen Spalt. Marie lag auf ihrem Bett, das kurze, dunkle Haar wie einen gekappten schwarzen Flederwisch auf dem Kopf zusammengenommen. Die Wimperntusche war unter ihren Augen verlaufen, ihre Wangen waren blass. Sie drückte einen zottigen blauen Teddybär an ihre Brust.
    »Wieso bist du zu Hause?«
    »Die Schule hat versucht, dich anzurufen. Mir geht’s nicht gut.«
    Luc trat näher, um seine sechzehnjährige Schwester, die zusammengerollt auf ihrer Spitzenbettdecke lag, genauer in Augenschein zu nehmen. Vermutlich weinte sie wieder einmal um ihre Mutter. Seit der Beerdigung war erst ein Monat vergangen, und er glaubte, etwas sagen zu müssen, um Marie zu trösten, wusste aber beim besten Willen nicht, was; er hatte es ein paarmal versucht, damit aber alles noch schlimmer gemacht.
    »Hast du die Grippe?«, fragte er stattdessen. Sie sah ihrer Mutter so ähnlich, dass es schon unheimlich war. Oder zumindest sah sie ihrer Mutter, wie er sie in Erinnerung hatte, sehr ähnlich.
    »Nein.«
    »Brütest du eine Erkältung aus? Was fehlt dir denn?«
    »Ich fühl mich einfach nicht gut.«
    Luc selbst war sechzehn gewesen, als seine Schwester geboren wurde, als Kind seines Vaters und der vierten Frau seines Vaters. Abgesehen von ein paar Feiertagsbesuchen hatte Luc nie etwas mit Marie zu tun gehabt. Sie hatten in Los Angeles gewohnt; er lebte auf der anderen Seite des Landes. Er hatte mit seinem eigenen Leben zu tun gehabt, und bevor sie im vergangenen Monat bei ihm eingezogen war, hatte er sie zuletzt auf dem Begräbnis ihres Vaters vor zehn Jahren gesehen. Und jetzt trug er plötzlich die Verantwortung für eine Schwester, die er gar nicht kannte. Er war ihr einziger lebender Verwandter, der noch nicht das Rentenalter erreicht hatte. Er war Hockeyspieler. Junggeselle. Männlich. Und er hatte nicht die geringste Ahnung, was zum Teufel er mit ihr anfangen sollte.
    »Möchtest du eine Suppe?«, fragte er.
    Sie zuckte mit den Schultern, und wieder wurden ihre Augen nass. »Ja, vielleicht«, schniefte sie.
    Erleichtert zog Luc sich zurück und ging in die Küche. Er holte eine große Dose Hühnersuppe mit Nudeln aus dem Schrank und schob sie unter den Büchsenöffner auf der Arbeitsplatte aus schwarzem Marmor. Ihm war bewusst, dass sie eine schwierige Phase durchlebte, aber, Herrgott, sie trieb ihn in den Wahnsinn. Wenn sie nicht heulte, dann schmollte sie. Wenn sie nicht schmollte, behandelte sie ihn wie einen Schwachsinnigen.
    Luc füllte die Suppe in zwei Schalen und gab Wasser hinzu. Er hatte versucht, sie zu einer Therapie zu schicken, aber sie war während der Krankheit ihrer Mutter schon in einer Therapie gewesen und wehrte sich mit Händen und Füßen gegen eine weitere, war der Meinung, dass es genug sei.
    Er schob sein und Maries Mittagessen in die Mikrowelle und stellte die Zeit ein. Abgesehen davon, dass es ihn in den Wahnsinn trieb, schränkte der Umstand, dass eine launische Sechzehnjährige bei ihm wohnte, auch sein gesellschaftliches Leben empfindlich ein. Er hatte nur noch Zeit für sich selbst, wenn er unterwegs war. Irgendetwas musste sich ändern. Die Situation, wie sie jetzt war, tat ihnen beiden nicht gut. Er hatte eine verantwortungsbewusste Frau eingestellt, die mit Marie in seiner Wohnung wohnte, wenn er nicht in der Stadt war. Sie hieß Gloria Jackson und war wahrscheinlich über sechzig Jahre alt. Marie mochte sie nicht, aber es gab offenbar kaum einen Menschen, den Marie mochte.
    Das Beste, was er tun konnte, war wohl, ein gutes Internat für Marie zu finden. Dort wäre sie bestimmt glücklicher, unter lauter Mädchen in ihrem Alter, die sich mit Frisuren und Make-up auskannten und gern Rap-Musik hörten. Natürlich waren seine Gründe, Marie in ein Internat zu schicken, keineswegs selbstlos. Er wünschte sich sein altes Leben zurück. Vielleicht war er ein egoistischer Mistkerl,

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