Sie kamen bis Konstantinopel
weitermachen?«
Der Alte nickte. Sein Kopf sank zur Seite und der Atem ging schwer. Padraich nahm die runzelige, knochige Hand und erschrak, wie kalt und leblos sie wirkte.
»Bis morgen«, sagte er verzagt.
»Bis morgen, und Gott segne euch«, antwortete Grellan fast unhörbar.
Diese Nacht konnte Padraich nach dem Gebet nicht wieder einschlafen, und als er merkte, wie sich auch Kilian auf seinem Lager unruhig hin und her wälzte, rief er ihn mit gedämpfter Stimme an. Beide erhoben sich leise und setzten sich vor ihrer Zelle auf den Boden. Der halbvolle Mond war hinter einer zerfransten Wolke verborgen, doch sein Schein ließ ihren Rand erstrahlen und tauchte das Kloster in einen bleichen Schimmer. Padraich blickte den Fledermäusen nach, deren schwarze Umrisse über den Himmel huschten, dann wandte er sich Kilian zu.
»Was hältst du von Grellans Erzählung?«
Der Ältere sah ihn verwundert an. »Was ich davon halte? Du meinst, ob ich daran glaube?«
Padraich nickte zögernd. »Manches klingt so … nun ja, seltsam.«
Kilian schüttelte entschieden den Kopf. »Ich glaube jedes Wort! Eines Tages werde ich auch zu so einer Fahrt aufbrechen.«
»Aber haben wir nicht gelobt«, gab der Jüngere zu bedenken, »gemeinsam die Heiden zu bekehren und bis nach Rom zu pilgern?«
»Heiden können wir auch bei einer solchen Seefahrt begegnen«, erklärte Kilian zuversichtlich. »Du kommst natürlich mit. Der heilige Brendan ist ja auch nicht alleine losgesegelt.«
Padraich schwieg. Er hätte sein Gefühl nicht in Worte fassen können, aber mit einem Male schien sich etwas Fremdes zwischen ihn und seinen Freund zu schieben. Das Rauschen des Meeres klang lauter, der Wind musste gedreht haben. Er fröstelte und erhob sich, um wieder schlafen zu gehen. »Kommst du mit?«, fragte er Kilian, doch dieser schüttelte den Kopf. »Später. Warte nicht auf mich. Ich muss nachdenken.«
Als die beiden am nächsten Tag Grellans Zelle betraten, rührte sich nichts. Sie ließen sich neben dem Strohlager nieder und schüttelten die Gestalt unter der Wolldecke. Nur widerwillig öffneten sich die von faltiger Haut umgebenen Augen. »Was ist, was wollt ihr, wer seid ihr?«, flüsterte die Stimme, die noch schwächer wirkte als sonst.
»Wir sind es, Padraich und Kilian. Wir schreiben deine Geschichte auf, die von Brendan dem Seefahrer.«
Diese Worte schienen den Greis mit neuem Leben zu erfüllen. »Brendan. Gott sei gepriesen, der mir die Gnade gewährte, ihn noch gekannt zu haben …« Einen Augenblick schien es, als ob er sich in der Dämmerung seines erlöschenden Gedächtnisses verlieren würde. Doch dann begann er, von der Weiterfahrt der Mönche zu erzählen, die nach vielen weiteren Prüfungen in eine dichte Nebelwolke gerieten, in deren Mitte sie zuletzt eine große Insel entdeckten. »Dicht standen dort die Bäume, schwer beladen mit allerlei Früchten, und nie wurde es völlig Nacht. Die Mönche wanderten über das Land, bis sie zu einem gewaltigen Strom kamen, den sie nicht überqueren konnten.«
Grellan hielt kurz inne, um danach in beschwörendem Ton fortzufahren.
»Da näherte sich ihnen ein junger Mann von wunderschönem Äußeren, der sie alle namentlich begrüßte, umarmte, und dann zu ihnen sagte: ›Dies ist das Land, das ihr gesucht habt. Nehmt euch nun von den Früchten und den kostbaren Steinen, soviel euer Boot fassen kann, und kehrt zurück, denn eure irdische Pilgerschaft nähert sich dem Ende. Erst viele Jahre später, wenn schlimme Tage für das Volk Christi angebrochen sind, wird dieses Land denen enthüllt werden, die euch nachfolgen.‹ Dann segnete der Unbekannte die Mönche, die zu ihrem Boot zurückkehrten und die gefahrvolle Heimfahrt antraten, bis sie nach sieben langen Jahren wieder in ihrer Heimat anlangten …« Damit erlosch Grellans Stimme, dessen Geschichte beendet war. Die Novizen erhoben sich langsam, nahmen ihre beschriebenen Tafeln und brachten sie in das Skriptorium.
Am selben Abend, als die Mönche im Refektorium ihre Suppe löffelten, kam ein Laienbruder hereingestürzt und meldete, dass Gott Bruder Grellan zu sich gerufen habe. Während die Totenglocke ihr schepperndes Geläute begann, sah Kilian auf und starrte Padraich ins Gesicht. Dem schien es, als sähe er Angst in den Augen seines Freundes, und tief bestürzt fühlte er die alte Schuld in sich aufwallen. Gemeinsam mit allen Mitbrüdern durchwachte er die Nacht und betete inbrünstig für die Seele des alten Mannes … und
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