Sie kamen bis Konstantinopel
oben, nur um die Augen sofort wieder niederzuschlagen.
»Wie heißt ihr?«, wollte Brigid wissen. Als sie ihre Namen genannt hatten, legte sie ihre Hand auf Padraichs Schulter. »Könntest du mir einen Gefallen tun, Padraich?«, fragte sie, »ich brauchte einen starken Mann.« Bei diesen Worten wanderte ihr Blick zu seiner Hand, deren Ring- und Mittelfinger gleich lang waren.
»Ich würde gerne helfen«, stotterte der junge Mönch, »aber …« Er zitterte am ganzen Leibe, denn die Berührung der Frau rief in ihm die gleiche lustvolle Verwirrung hervor, die er manchmal in den Träumen spürte, derer er sich beim Erwachen schämte.
»Er will sagen, dass wir heute in Eile sind«, kam ihm Kilian zu Hilfe. »Wir haben noch kaum Tang gesammelt, und die Flut kommt bald. Wir würden lieber so schnell wie möglich hinausfahren. Morgen könnten wir früher da sein, dann hätten wir mehr Zeit!«
Die Frau lachte. Es war ein wissendes, helles Lachen, das klang, als ob eine der kleinen Glocken geläutet würde, die im Kloster auf dem Altar standen. »Nun denn, lauft nur, erfüllt eure Pflicht. Und was morgen ist, das weiß Gott.«
Die beiden dankten hastig und rannten zum Strand zurück, um das Boot zu Wasser zu lassen. Es war gut dreimal so lang wie ein Mann, doch überraschend leicht und wippte beim Tragen. Sie paddelten ein Stück hinaus, dann hisste Kilian das Segel, das zusammengerollt im Boot lag. Der Wind fuhr in die stockfleckige Leinwand, die erst knatterte und sich schließlich wölbte, während das Boot über die Dünung glitt, sanft und geschmeidig wie ein lebendiges Wesen. Padraich, der an der höher aus dem Wasser ragenden rechten Bordkante lehnte, schnupperte die frische Meeresluft, sah die Küste mit der Fischerkate kleiner werden und spürte etwas, das er in seinem ganzen bisherigen Leben noch nie gekannt hatte: das Gefühl der Freiheit.
Im Stillen bewunderte er Kilian, der mit geübten Griffen das Curragh um die Landzunge lenkte, bis sie die flache Insel erreichten, in deren Mitte ein hüfthoher Felsen aufragte. Anschließend zogen sie zusammen das Boot hoch und begannen, mit ihren Händen Algenbüschel abzureißen und in das Innere des Curraghs zu werfen. Obwohl sie immer Gefahr liefen, auf dem glitschigem Boden auszurutschen, brauchten sie kaum eine halbe Stunde, um genügend beisammenzuhaben. Dann wurde es Zeit zur Rückkehr, denn die steigende Flut schäumte schon um die sichtbar kleiner gewordene Insel. Diesmal mussten beide zu den Paddeln greifen, doch bald waren sie am Ufer an der Stelle angelangt, wo ihr Karren stand. Nachdem sie den Tang entladen und das Boot um die Landzunge zurückgerudert hatten, schlugen sie sich lachend auf die Schultern, warfen mit Treibholzstücken nach den kreischenden Möwen und tanzten den Strand entlang, bis sie erschöpft den Karren erreichten.
»So wie die Sonne steht«, keuchte Padraich, »haben wir noch etwas Zeit, bevor wir zurück müssen.«
»Wir könnten ja Brigid besuchen und ihren Met probieren«, schlug Kilian augenzwinkernd vor, »und ihr bei dem helfen, wofür sie einen starken Mann braucht – oder zwei!« Er lachte, als er Padraichs verlegenes Gesicht sah, und fuhr fort: »Du hast Recht, besser morgen. Wenn wir nicht bis zur Vesper zurück sind und Molua es merkt, verpasst er uns wieder hundert von diesen lästigen Psalterrezitationen!«
Jeder im Kloster kannte Molua, der zu den ranghöchsten Mönchen, den Seniores, gehörte und für die Bestrafungen zuständig war. Bei Gründung des Klosters hatte man die Bußregel des heiligen Columbanus übernommen, die für jede Verfehlung genau festgelegte Strafen vorsah: Fasten, Schweigegebote, Psalmenrezitationen im Stehen oder bis zu 25 Schläge mit der Lederpeitsche auf die Handflächen. Allerdings stand es im Ermessen des jeweiligen Seniors, aus dem Katalog der gleichwertigen Bußen die richtige auszuwählen. Molua war dafür berüchtigt, dass die Mönche von ihm glaubten, dass er ihnen hinterherschnüffele, Freude am Bestrafen habe und jeweils die von dem Betroffenen am meisten gefürchtetste Wahl träfe. Nur bei Kilian, dem Neffen des Abtes, schien er sich etwas zurückzuhalten.
Padraich steckte einen vom Meer blank gescheuerten Ast in den Sand. »Wenn der Schatten bis hierher gekommen ist«, sagte er und zeigte auf eine Muschel, »dann sollten wir gehen. Aber was machen wir, wenn morgen Memilian wieder mitkommt?«
»Ach Memilian«, lachte Kilian, »dem sollten wir wohl besser nichts von Brigid
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