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Sie kamen nach Bagdad

Sie kamen nach Bagdad

Titel: Sie kamen nach Bagdad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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eine Gestalt, wie man sie heutzutage häufig sieht, bekleidet mit jener jämmerlichen Mischung aus Ost und West. Über seinem langen Gewand aus gestreiftem Kattun trug er einen abgelegten Khaki-Waffenrock, alt, fleckig und zerrissen, in dem ein verschossener, gestrickter roter Schal steckte, während seinen Kopf der unvermeidliche schwarz-weiße Turban der Araber zierte. Er war eine Erscheinung wie tausend andere in Mesopotamien. Nichts ließ vermuten, dass er ein Engländer war und dass er ein Geheimnis bei sich trug, hinter dem mächtige Männer in Ost und West her waren, um es zugleich mit seinem Träger zu vernichten.
    Er dachte an die letzten Wochen. Das Versteck in den Bergen, die Eiseskälte des Schnees bei der Überquerung des Passes, die Kamelkarawane, den viertägigen Fußmarsch durch die Wüste in Gesellschaft zweier Männer, die ein »tragbares Kino« mit sich führten. Alles unsäglich gefahrvoll – immer wieder durch das Netz schlüpfend, das gespannt war, um ihn einzufangen.
    Henry Carmichael, britischer Geheimagent, Alter ungefähr dreißig, braunes Haar, dunkle Augen, fünf Fuß zehn, spricht Arabisch, Kurdisch, Persisch, Armenisch, Hindustani, Türkisch und viele Dialekte der Bergvölker, von den Stämmen unterstützt, gefährlich.
    Carmichael wurde in Kaschgar geboren, wo sein Vater Regierungsbeamter war. Seine kindliche Zunge hatte verschiedene Dialekte und Mundarten gelallt. Seine Betreuerinnen und später seine Träger waren Eingeborene verschiedenster Rassen gewesen. In fast allen wilden Gegenden des Mittleren Ostens besaß er Freunde. Nur in den Städten und Geschäftszentren traute er seinen Beziehungen nicht.
    Jetzt, da sie sich Basra näherten, wusste er, dass der kritische Moment seiner Mission gekommen war. Früher oder später musste er sich wieder in die Zivilisation wagen. Obwohl Bagdad sein eigentliches Ziel war, hatte er es für klüger gehalten, einen Umweg zu machen. In jeder Stadt des Irak hatte man Vorkehrungen für seinen »Empfang« getroffen, wohl erwogen und von langer Hand vorbereitet. Es blieb seinem eigenen Ermessen überlassen, wo er einkehren wollte. Der einfache Plan, dass ihn ein Flugzeug an einem vereinbarten Ort erwarten sollte, war gescheitert, wie er erwartet hatte. Seine Feinde hatten davon erfahren. Etwas war durchgesickert. Immer dieses unerklärliche tödliche Leck!
    Daher fühlte er sich doppelt gefährdet. Hier in Basra, in greifbarer Nähe der Sicherheit, fühlte er instinktiv, dass die Gefahr größer sein würde, als während der ganzen abenteuerlichen Reise. Und ein Misslingen auf der letzten Etappe – das war kaum auszudenken.
    Rhythmisch rudernd, ohne den Kopf zu wenden, murmelte der alte Araber: »Der Moment naht, mein Sohn, Allah segne dich.«
    In wenigen Augenblicken musste er den Schutz des Bootes verlassen, durch die Straßen der Stadt gehen und an scharfen Augen vorbei Spießruten laufen. Nur wenn er nicht nur wie ein Araber aussah, sondern auch so fühlte, konnte es ihm gelingen.
    Das Boot glitt leise in den Kanal, der im rechten Winkel zum Fluss verlief. Hier lagen alle Arten von Flussfahrzeugen vor Anker und weitere Boote kamen vor ihnen und hinter ihnen herein. Es war eine wunderschöne, fast venezianische Szene, die Boote mit dem hohen, verschnörkelten Bug und den zarten, verblassten Farben ihrer Bemalung.
    Carmichael raffte seine gestreiften Röcke und schritt die schlüpfrigen Steinstufen zum Landungsplatz empor. Überall um ihn herum das gewohnte geschäftige Treiben am Ufer. Orangen, klebrig-süße Kuchenstücke, Schnürsenkel, billige Kämme – alles wurde feilgeboten. Müßiggänger spuckten von Zeit zu Zeit geräuschvoll aus, spazierten vorbei und ließen ihre Holzperlen klappernd durch die Finger gleiten. Auf der gegenüberliegenden Seite der Straße befanden sich Läden und die Banken, geschäftige junge Effendis schritten eilig dahin in europäischen Anzügen. Man sah auch Engländer und andere Ausländer.
    Und so kam der Fremde in die Stadt. Er gelangte zur Brücke über den Kanal, überquerte sie und ging in den Souk. Hier herrschte lärmendes Treiben. Kräftige Gestalten aus dem Hinterland drängten sich rücksichtslos durch die Menge. Beladene Esel bahnten sich ihren Weg, während ihre Treiber heiser » Balek, Balek« schrien. Kinder rauften und kreischten und liefen den Fremden nach: » Bakschisch, Madame, Meskinmeskin …«
    Hier wurden die Waren des Ostens und Westens Seite an Seite zum Verkauf angeboten.

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