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Sie kamen nach Bagdad

Sie kamen nach Bagdad

Titel: Sie kamen nach Bagdad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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letzte – «
    »Ganz unmöglich«, erklärte Victoria fest. »Ich kann Ihnen nicht einmal sagen, was ich dort mitmachen musste.«
    In Miss Spencers bleiche Wangen stieg ein erwartungsvolles Rot. »Doch nicht … ich will doch hoffen, dass nicht …«, begann sie. »Er sah gar nicht danach aus …«
    »Es hat nichts zu bedeuten«, sagte Victoria und zauberte ein bleiches, tapferes Lächeln auf ihre Lippen, »ich kann mich schon verteidigen.«
    »Oh, gewiss, aber es ist so widerwärtig.«
    »Ja«, sagte Victoria, »es ist widerwärtig …«
    Sie lächelte wieder tapfer.
    Miss Spencer blätterte in ihren Büchern. »Die St. Leonardische Hilfe für ledige Mütter braucht eine Stenotypistin. Natürlich zahlen die nicht besonders – «
    »Besteht irgendeine Aussicht«, fragte Victoria, »auf einen Posten in Bagdad?«
    »In Bagdad?«, wiederholte Miss Spencer verblüfft, »ich glaube kaum – meinen Sie als Sekretärin?«
    »Als was auch immer«, sagte Victoria, »als Kindermädchen, Köchin oder Irrenwärterin.«
    Miss Spencer schüttelte den Kopf. »Leider kann ich Ihnen da nicht viel Hoffnung machen. Gestern war eine Dame mit zwei kleinen Mädchen da, die eine Überfahrt nach Australien angeboten hat.«
    Victoria winkte Australien ab und stand auf. »Wenn Sie von irgendetwas hören! Ich brauche nur das Reisegeld, sonst nichts.« Um die Neugier in den Augen der anderen zu befriedigen, erklärte sie: »Ich habe – hm – Verwandte dort und wie ich höre, gibt es drüben eine Menge gut bezahlter Stellungen. Aber natürlich muss man zuerst mal hinkommen.«
    Zu Victorias Ärger schien sich alles verschworen zu haben, sie an Bagdad zu erinnern.
    Ein kurzer Artikel in der Abendzeitung, die sie gekauft hatte, berichtete, dass Dr. Pauncefoot Jones, der bekannte Archäologe, Ausgrabungen in der antiken Stadt Murik 120 Kilometer von Bagdad begonnen hatte. Ein Inserat erwähnte Schifffahrtslinien nach Basra (und von dort per Bahn nach Bagdad, Mossul usw.). In der Zeitung, mit der ihre Strumpfschublade ausgelegt war, sprangen ihr ein paar Zeilen über Studenten in Bagdad in die Augen. Die ganze Welt schien plötzlich einen Bagdad-Komplex bekommen zu haben.
    Die Aussichten hinzugelangen waren alles andere als viel versprechend, aber Victoria dachte nicht daran, ihren Plan aufzugeben. Sie besaß einen erfinderischen Geist und die optimistische Anschauung, dass, wo ein Wille ist, auch ein Weg ist.
    Victoria schlief in dieser Nacht sehr gut und erwachte um fünf Minuten nach zehn. Das Telefon klingelte.
    Eine merklich aufgeregte Miss Spencer war am Apparat: »Ich bin so froh, dass ich Sie erreicht habe, meine Liebe. Es ist wirklich der unglaublichste Zufall.«
    »Ja?«, rief Victoria.
    »Eine Mrs Hamilton Clipp, die in drei Tagen nach Bagdad fährt, hat sich den Arm gebrochen und braucht eine Reisebegleitung.«
    »Ich bin schon unterwegs«, schrie Victoria. »Wo ist sie?«
    »Im Savoy.«
    »Sie sind ein Engel«, rief Victoria. »Adieu.«
    Victoria entstieg beim Green Park einem Autobus Nr. 19 und ging ins Ritz. Ein rascher Blick über die Schulter einer im Bus lesenden Dame hatte sich als lohnend erwiesen. Victoria ging in das Schreibzimmer und verfasste sich selbst ein äußerst positiv klingendes Empfehlungsschreiben von Lady Cynthia Bradbury.
    Vom Ritz ging sie ins Balderton, sehr beliebt beim höheren Klerus. Hier schrieb sie sich mit einer etwas weniger flotten Handschrift und indem sie saubere kleine griechische e malte, ein Empfehlungsschreiben des Bischofs von Llangow. So ausgerüstet bestieg Victoria einen Autobus Nr. 9 und fuhr ins Savoy.
    Am Empfang fragte sie nach Mrs Hamilton Clipp. Der Empfangschef wollte gerade das Telefon zu sich herüberziehen, als er innehielt, aufschaute und sagte: »Das hier ist Mr Hamilton Clipp.«
    Mr Hamilton Clipp war ein baumlanger, sehr magerer, grauhaariger, gutmütig aussehender Amerikaner, der langsam und bedächtig sprach. Victoria nannte ihren Namen und berief sich auf das Stellenvermittlungsbüro.
    »Also, Miss Jones, ich glaube, Sie kommen am besten gleich mit hinauf zu meiner Frau«, sagte er.
    Sie fuhren mit dem Aufzug in den dritten Stock. Als sie den mit dicken Teppichen ausgelegten Korridor entlangschritten, trat eine junge Frau am Ende des Ganges aus einer Tür und kam auf sie zu. Victoria hatte eine Art Halluzination, dass sie selbst es sei, die sich da näherte. Vielleicht, dachte sie, weil das Kostüm der jungen Frau ganz genau das war, was sie selbst so gern getragen

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