Sie kamen nach Bagdad
das er eben aus seinen Gewändern herausgezogen hatte. Noch ein Moment – und das Messer hätte sich in Carmichaels Rücken gebohrt.
Wie der Blitz fuhr Carmichael herum. Mit einem harten Tiefschlag streckte er den anderen nieder. Das Messer flog durch den Raum. Carmichael machte sich rasch frei, sprang über den Körper des anderen und stürzte durch das Vorderzimmer, wo er noch einen flüchtigen Blick auf das erschrockene, tückische Gesicht des Kaufmanns und das gelassen erstaunte des fetten Pilgers warf. Dann war er draußen, über den Hof und tauchte wieder im Gewühl des Souk unter. Er bog erst in eine Seitengasse, dann in eine zweite und dann schlenderte er wieder gemächlich dahin, ohne Anzeichen von Hast in einem Lande, wo Hast auffällig wirkt.
Sein Gehirn arbeitete fieberhaft. Er war wieder einmal in Feindesland auf sich selbst gestellt. Er hatte nicht nur die Feinde zu fürchten, die ihn verfolgten. Er hatte Feinde im eigenen Lager, denn die Losungsworte waren verraten worden, die Antworten waren wie am Schnürchen gekommen.
Jetzt war er auf der Flucht – allein auf seine Geistesgegenwart angewiesen. Ohne Geld, ohne Verkleidung, sein Inkognito gelüftet.
Er wandte nicht den Kopf. Welchen Sinn hätte das auch? Jene, die ihn beobachteten, waren keine Anfänger in diesem Spiel. Er schlenderte weiter ziellos dahin. Hinter seinem gleichgültigen Gehaben erwog er verschiedene Möglichkeiten. Er ging weiter, bis er das große Schild mit der Aufschrift »Britisches Konsulat« über einem Eingang sah. Er blickte die Straße hinauf und hinunter. Niemand schien ihm die geringste Beachtung zu schenken. Nichts schien leichter, als einfach in das britische Konsulat hineinzugehen. Er dachte an eine Mausefalle, eine offene Mausefalle mit ihrem verlockenden Stückchen Speck. Auch das schien leicht und einfach für die Maus …
Nun, er musste es riskieren. Er sah keinen anderen Ausweg und ging hinein.
6
R ichard Baker saß im Vorzimmer des britischen Konsulats und wartete darauf, vom Konsul empfangen zu werden. Er war heute Morgen mit der »Indian Queen« angekommen und hatte sein Gepäck beim Zoll abfertigen lassen. Es bestand fast zur Gänze aus Büchern.
Die »Indian Queen« war fahrplanmäßig eingelaufen und Richard hatte jetzt zwei freie Tage vor sich, ehe er via Bagdad nach Tel Aswad – die antike Stadt Murik – Weiterreisen musste. Ein bestimmter Hügel nahe dem Meeresufer in Kuwait, der angeblich antike Überreste bergen sollte, hatte schon lange seine Neugier erregt. Die zwei freien Tage, die er nun hatte, boten ihm die Gelegenheit, sie zu befriedigen.
Er fuhr zum Flughafenhotel und erkundigte sich dort, wie man nach Kuwait gelangen könne. Ein Flugzeug würde am folgenden Morgen um zehn Uhr nach dort abfliegen und er könnte am darauf folgenden Tag zurückkehren, sagte man ihm. Man müsste natürlich die unvermeidlichen Formalitäten erfüllen. Ein- und Ausreisevisa für Kuwait. Dazu musste er sich an den britischen Konsul wenden. Richard hatte den Generalkonsul in Basra, Mr Clayton, vor einigen Jahren in Persien getroffen.
Das Konsulat hatte mehrere Eingänge. Richard ging hinein, gab dem Dienst habenden Beamten seine Karte und wurde in ein kleines Zimmer links vom Korridor geführt, der sich vom Eingang bis zum Garten hinter dem Haus erstreckte.
Es befanden sich schon mehrere Leute im Vorzimmer. Es wäre schwer zu sagen, wieso er sich seiner Mitmenschen plötzlich so lebhaft bewusst wurde. Es war zuerst ein Unbehagen, ein Gefühl der Spannung. Es wurde ihm, so glaubte er wenigstens, obwohl er nicht sicher sein konnte, durch den Geruchssinn vermittelt. Nichts, das sich in Worten ausdrücken ließ – aber es war unverkennbar da und versetzte ihn in gewisse Tage des jüngst vergangenen Krieges zurück. Der gleiche, beißende, fast unmerkliche Geruch in der Luft. Es roch nach Angst …
Er sah sich um. Ein Araber in einem verschlissenen Waffenrock, dessen Finger müßig über die Bernsteinperlen glitten, die er in der Hand hielt. Ein dicklicher Engländer mit einem grauen Schnurrbart – Typ Handlungsreisender –, der Zahlen in ein kleines Notizbuch kritzelte. Ein hagerer, müde aussehender, sehr dunkelhäutiger Mann, der sich in seinen Stuhl zurückgelehnt ausruhte. Ein Mann, der wie ein irakischer Beamter aussah. Ein älterer Perser in einem wallenden, schneeweißen Gewand. Sie schienen alle ganz unbekümmert.
Das Klappern der Bernsteinperlen verfiel in einen bestimmten Rhythmus. Richard gab
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