'Sie können aber gut Deutsch'
Jeder von uns wollte sich über die Anschläge in Norwegen informieren, aber kaum einer hätte sich an einem anderen Tag für einen Bericht über den alltäglichen Einkaufstrubel in Oslos Innenstadt interessiert. Die gute, alte Journalisten-Regel »Bad news is good news« funktioniert immer, das ist die profane Erklärung für das Medienverhalten. Nur das Bild, das in den deutschen Medien im Zusammenhang mit Menschen mit Migrationshintergrund (was für ein Zeilenfüller, dieser Begriff!) gezeichnet wird, ist leider nicht das »der Ausnahmefälle von Menschen mit Migrationshintergrund«, sondern wird uns als allumfassende Wirklichkeit vermittelt. Und die wäre ja schon wieder verwerflich-langweilig, wenn man den Berichten über die kriminellen Jugendlichen, die auch noch schlecht Deutsch sprechen und die Hauptschule abgebrochen haben, hinzufügen würde: Das sind übrigens Ausnahmen von der Regel. Die kompletten Integrationsverweigerer mit ihrem möglicherweise sogar islamistischen Hintergrund sind genauso eine Randerscheinung wie die absoluten Überflieger, die klug-hübsch-erfolgreich-selbstbewusst-charmanten Aufsteiger ohne jegliche Identitätsprobleme. So wie das übrigens in jeder Nation, in jeder Gesellschaft, in jedem Land der Fall ist. Denn dazwischen gibt es die Mitte, die eher langweilige Mitte, zu der aber der Großteil der Menschen gehört – egal ob mit Migrationshintergrund oder ohne. Diese Mitte wird gerne verschwiegen, weil sie keinen Nachrichtenwert hat. Man gaukelt uns gar vor, es gäbe keine Mitte, und wenn doch, dann eine, die vor allem aus den Randerscheinungen bestünde. Jedenfalls hat das Bild, das in den Medien gezeichnet wird, mit der Eintönigkeit unseres gemeinsamen Lebens wenig zu tun. In dem Menschen, unabhängig
von dem Vorhandensein eines Migrationshintergrunds, sich morgens aus dem Bett quälen, zur Arbeit gehen, Kinder erziehen, Besorgungen machen, den Haushalt managen und abends erschöpft den Fernseher einschalten, um dann zu sehen, dass die Menschen mit Migrationshintergrund all das nicht tun. Selbst im Nationalen Integrationsplan der Bundesregierung hat man inzwischen festgestellt, dass Massenmedien »ein nur unvollständiges Bild der Migrantinnen und Migranten und ihrer Bedeutung im wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Leben unseres Landes« zeichnen.
Selbstverständlich ist es nicht Aufgabe der Medien, alles, was mit dem Thema Migranten zusammenhängt, positiv darzustellen, und es kann auch nicht ihre Rolle sein, die »gelebte Integration« in Deutschland bewusst voranzutreiben. Es gehört aber zu den Aufgaben, denen sie – zumindest seriöse Erzeugnisse – sich selbst verschrieben haben, die Realität abzubilden, anstatt Ängste und Vorurteile zu bedienen und durch negative oder auch positive Pauschalisierung Ausgrenzung zu fördern. Ergebnisse empirischer TV-Nachrichtenanalysen zeigen, dass sich ca. 30 Prozent aller Beiträge über Migranten mit Kriminalität beschäftigen und weitere ca. 24 Prozent sich dem Thema Terrorismus widmen. Entspräche das der Realität – 30 Prozent der hier lebenden Migranten wären Kriminelle, weitere 24 Prozent Terroristen –, bekäme auch ich es massiv mit der Angst zu tun. Das soll nicht heißen, dass Migranten nie kriminell wären, dass es die Integrationsunwilligen (auch wenn ich den Begriff nicht leiden kann), die Kopftuch tragenden Frauen, die viele Kinder gebären, unter ihnen nicht gibt. Es gibt sie, aber sie sind nicht die typischen Migranten, so wie es uns in Fernseh-, Zeitungs- oder Zeitschriftenbildern gerne vermittelt wird. Wie würden Sie sich fühlen, wenn die Deutschen im Fernsehen immer nur als dicke, Bier trinkende
Schnauzbartträger gezeigt würden? Oder wahlweise nur als Nazis?
Mit dieser Skandalisierungs- und Pauschalisierungstaktik schaden die Medien im Übrigen schon lange nicht mehr nur der Atmosphäre dieser Gesellschaft, sondern nicht zuletzt auch sich selbst. Schaut man sich die wissenschaftlichen Untersuchungen zu diesem Thema an, und Medien schauen ja gerne auf Zahlen, so stellt man fest, dass diese Menschen, die da pauschalisierend aus einem – bzw. vielmehr zwei – Blickwinkel(n) gezeigt werden, mit wachsendem Anteil Kunden dieser Medien sind. Aus Sicht der Medien geht es also bei der Überlegung, wie man mit diesem Thema inhaltlich umgeht, nicht nur um einen Versuch der Objektivität, der Abbildung von Realität, der politischen Korrektheit, sondern schlicht und ergreifend um ihren
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