'Sie können aber gut Deutsch'
mehr duldet, sondern annimmt. Ein einfacher Gedanke, den man bereits aus der Lesben- und Schwulen-Bewegung kennt und der alles andere als naiv ist. Es ist ein Gedanke, der, wenn man ihn als Leitfaden mit in den Alltag nimmt, das Leben aller Beteiligten vereinfacht. Gilt er als naiv, weil es unmöglich scheint? Ist es übermenschlich zu akzeptieren, dass Menschen anders sind als man selbst? Dass Andersartigkeit einen nicht bedroht, sondern einfach nur eine wertfreie Tatsache ist: Du bist anders als ich. (Und das bist du nicht, um mich zu bedrohen, mich zu verändern oder mir etwas wegzunehmen.)
Und wenn man das akzeptiert, wenn man das einmal verstanden hat, dann ist die Bitte »Such was Neues, such einen neuen Namen!«, die ich nicht nur von der Frau mit türkischen
Wurzeln, die mit Jugendlichen mit Migrationshintergrund arbeitet, sondern von vielen meiner Gesprächspartner zu diesem Thema gehört habe, tatsächlich obsolet. Weil man dann die Menschen nicht mehr abhängig von ihrer Herkunft, ihrem Geburtsort, ihrer Muttersprache abgrenzen muss, sondern sie ohne Sinn und Verstand in denselben Topf werfen kann. Es würde dazu führen, dass man nicht mehr das Gefühl haben müsste, niemals richtig dazugehören zu dürfen, auch wenn man noch so sehr wollte, vielleicht jemand anders werden zu müssen oder, schlimmer noch, besser als jemand anders geboren worden zu sein, um dazuzugehören. Wenn all das keine Rolle mehr spielt, man nicht länger durch bestimmte Begrifflichkeiten einen »Makel« aufgestempelt bekommt, dann, davon bin ich überzeugt, steigt auch der Wunsch, zur Gesellschaft beizutragen, ein Teil von ihr zu sein. Weil man sicher sein kann: Mensch ist Mensch.
Was man so sieht, was man so hört
Wollen wir mal ein Assoziationsspiel ausprobieren? Sie schließen die Augen und denken an nichts. Ich werde Ihnen Begriffe nennen. Bilder werden vor Ihrem inneren Auge auftauchen, wertfreie Bilder. Und Sie sagen mir ganz ehrlich, was Sie sehen. In Ordnung? Sind Sie soweit? Achtung, dann fangen wir mal an.
Ich sage: Migrant.
Jetzt sagen Sie mir, was Sie sehen. Oder warten Sie, lassen Sie mich raten! Ist es ein Mann mittleren Alters, mit einer eher dunklen Hautfarbe und einem Schnauzbart, der vor einem Dönerspieß steht? Oder ist es ein Mann mittleren Alters, mit einer eher dunklen Hautfarbe und einem Schnauzbart vor einer Obstauslage? Ist es vielleicht eine Frau mittleren Alters? Ebenfalls mit einer eher dunklen Hautfarbe, tendenziell vollschlank, die Haare von einem Tuch verhüllt? Ist es gar eine Horde von Frauen in langen, grauen Mänteln, alle mit Kopftuch versehen? Oder ist es jemand, der so aussieht, als würde er aus Afrika stammen? Hat einer von Ihnen vielleicht einen Menschen vor sich gesehen, dessen Gesichtszüge nicht südländisch, dessen Gesichtsfarbe nicht eher dunkel gewesen wären?
Ich tippe auf nein.
Und nein, ich führe Sie nicht vor. Ich führe auch mich selbst nicht vor, die ich konfrontiert mit dem Begriff Migrant dieselben Bilder vor Augen habe und mein Gehirn dann strengstens ermahne, die Bilder aus der Realität, nicht die aus den Medien hervorzuholen. Vor unserem inneren Auge taucht nichts anderes auf als das, was wir tagtäglich in unserer Umgebung
sehen, die Bilder, die uns vermittelt werden, in der Tagesschau , im Fernsehen allgemein, in der Zeitung. Auch draußen, unterwegs nehmen wir eher das wahr, was wir bereits über den Bildschirm flimmern sahen. Wir registrieren auch dort eher die Menschen als Migranten, die eine etwas dunklere Hautfarbe haben, und weniger die Franzosen, Schweden, Polen, Engländer, US-Amerikaner, die ebenso in unseren Straßen unterwegs sind. Wir sehen das, was wir sehen sollen, und nein, das ist kein Verfolgungswahn à la George Orwell, es ist auch keine Hetze gegen die ach so bösen Medien, die an allem Schuld haben sollen. Es sind lediglich einige Beobachtungen sowie ein paar Gedanken, die dazu in meinem Kopf herumspuken.
Sieht man einen Migranten, einen Menschen mit Migrationshintergrund in den Medien, dann gehört er immer, und ja, den Begriff habe ich bewusst gewählt – immer – einer der beiden Kategorien an: Entweder ist er ein so genannter Integrationsunwilliger, einer, der sich nicht integrieren mag, einer, der kein Deutsch spricht oder höchstens ein paar Brocken (man möchte ihn schließlich im Fernsehen auch mit einem O-Ton, aber auch nicht mehr, zu Wort kommen lassen), der gerne dabei gezeigt wird, wie er gerade eine Moschee betritt, sich
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