'Sie können aber gut Deutsch'
zuvor die Schuhe auszieht und sie fein säuberlich neben die vielen, vielen anderen Paare stellt. Die Botschaft ist klar: Es gibt viele (zu viele) wie ihn. Ihn? Mindestens genauso häufig, wenn nicht gar öfter, sieht man in dieser Kategorie eine Sie. Eine Sie ist ein schöner Anblick, und gerade Fernsehjournalisten denken bekanntermaßen gern in Bildern, weil eine Sie in dieser Kategorie meist mit einem Kopftuch zu zeigen ist – das Kopftuch, ein schönes Bild, ein schönes Symbol. Mit ein wenig Glück kann man die Frau auch umringt von vielen spielenden Kindern präsentieren, die ebenfalls eine eher dunkle Hautfarbe
und deutlich südländische Gesichtszüge haben, ohne dass man im Off direkt aussprechen muss, wie gebärfreudig Migrantinnen, zumal diejenigen türkischer Abstammung, sind. Das ist die eine Kategorie, die näher zu beschreiben ich mir nun nicht die Mühe machen werde, weil wir sie alle kennen, haben wir diese Bilder doch schon des Öfteren, zuletzt wahrscheinlich gestern oder vorgestern im Fernsehen, gesehen.
Oder – und das ist die andere Kategorie – er gehört zu den so genannten Vorzeigeausländern, zu denen, die sich integriert haben, sich eigentlich assimiliert haben, was wir aber nicht so nennen (dürfen), weshalb wir uns daran erfreuen, dass es auch »welche« gibt, die sich sehr erfolgreich integrieren. Ein Vorzeigeausländer wird meist nicht in seinem Zuhause gezeigt, weil das langweilig wäre, weil sein Zuhause ähnlich aussieht wie Ihres, sondern in einem Studio sitzend und mit anderen – Deutschen – über Integration diskutierend, denn sein Deutsch ist ja gut genug dafür, wow! Er diskutiert immer über Integration, so, als hätten Menschen, die sich erfolgreich integriert haben und entsprechend auch sehr erfolgreich in ihrem Beruf sind, zu anderen Themen nichts zu sagen. Meist sprechen die in den Talkrunden sitzenden Migranten sogar ein schöneres, weil bewussteres Deutsch als ihre Mitdiskutanten.
Und zwischen den beiden Polen Integrationsunwilliger und Vorzeigeausländer? Nichts! Zwischen den beiden Polen ein großes, schwarzes Loch, also ein Nichts, in dem auch niemand lebt, und die Botschaft, die die Medien vermitteln, ist die: Migranten wollen sich nicht integrieren, außer dem hier, der ist ganz brav. Patsch, patsch, feiner Migrant! (Umso besser noch, wenn dieser Migrant Aussagen trifft, die sich gegen die andere Kategorie richten, also diejenigen, denen man ebendiese Integrationsunwilligkeit, wenn nicht gar -unfähigkeit
gerne vorwirft. Dann kann man sich bei ihm noch für das Freiticket in den mit Vorurteilen gepflasterten Beschwerdehimmel bedanken: Sogar der (die) hat das im Fernsehen gesagt, und der (die) kennt sich ja aus, der (die) kennt DIE Türken ja ziemlich gut!)
Würde diese mediale Wirklichkeit der tatsächlichen entsprechen, hätte ich auch Angst. Zumindest lassen sich viele Ängste hierzulande dadurch erklären: Sowohl die Angst vor Menschen, die hier leben, hier gar Sozialleistungen beziehen, aber offensichtlich kein Interesse an diesem Land haben. Die ihren Kindern Werte vermitteln, die auf den ersten Blick wenig mit denen gemein haben, die uns etwas bedeuten, diese Menschen, die immer mehr werden, wie man an der die Kopftuch tragende Frau umringenden Kinderschar sieht. Als auch die unbewusstere, seltener laut oder öffentlich geäußerte Angst vor dem Abstieg. Die Angst davor, dass Migranten, wie die, die da in einem schönen, gewählten Deutsch mit den hochrangigsten deutschen Intellektuellen, Wissenschaftlern, Politikern, Publizisten diskutieren, die etwas zu sagen und zu erzählen haben, die es ins Fernsehen geschafft haben, vielleicht dann doch mehr bekommen als man selbst. Mehr wovon? Egal, mehr Geld, mehr Erfolg, mehr Arbeitsstellen, mehr Anerkennung, mehr Macht, mehr als man selbst aber auf jeden Fall. Diese Ängste werden durch das verzerrte Medien-Bild, das wir tagtäglich vorgesetzt bekommen, gepflegt, geschürt und gesteigert, und das mit großem Erfolg. Die mediale Realität ersetzt den Alltag.
Warum aber ist diese mediale Realität so verzerrt? Weil sich die Medien gegen Menschen mit Migrationshintergrund verschworen haben? Selbstverständlich nicht. Es ist ihr vermeintlicher Job, über Randphänomene zu berichten statt über die langweilige Mitte. Man könnte auch sagen: über außergewöhnliche
Ereignisse und Menschen, über schockierende Ereignisse anstatt über den Alltag. Das ist an sich nicht verwerflich, sondern kundenorientiert:
Weitere Kostenlose Bücher