'Sie können aber gut Deutsch'
dann, dass ich immer Ausnahmen kennenlerne? Laufe ich etwa mit einem Schild herum, auf dem »Migranten-Ausnahmen gesucht« steht? Oder liegt es daran, dass ich mir die Menschen vielleicht etwas genauer anschaue? Nicht, weil ich so besonders offen wäre, sondern weil es sich immer lohnt.)
Aus einer bildungsfernen Familie zu kommen, muss für ein Kind nicht automatisch auch eine bildungsferne Zukunft bedeuten, da hat das Bildungssystem, das ja einen Erziehungsauftrag hat, durchaus etwas mitzureden, Gestaltungsmöglichkeiten gar. In den Hörsälen deutscher Universitäten stammt der Großteil der dort sich langweilenden Studenten aus Akademiker-Familien, übrigens ein sehr deutsches Phänomen. Doch dies muss, darf so nicht bleiben, wenn Deutschland weiterhin eines der wirtschaftlich erfolgreichsten Länder bleiben will. Das Bildungssystem in seiner jetzigen Form bietet wenig (Aufstiegs-)Chancen und wird deshalb auf Dauer nicht vor der internationalen Konkurrenz bestehen können. Die Erfahrung zeigt, dass niemand mit mehr Dankbarkeit Bildung annimmt und im Zuge dessen auch meistens mehr daraus macht, als Menschen, die aus so genannten bildungsfernen Familien kommen und somit für jeden noch so kleinen Aufstieg kämpfen müssen. Es ist an der Zeit, diesen Menschen, den heute noch teils sehr kleinen Menschen, zu zeigen, dass wir sie mit ihrem möglicherweise bildungsfernen Familienhintergrund hier haben möchten, dass wir an sie und ihre Fähigkeiten glauben, ihnen helfen möchten, die ihnen sich bietenden Chancen zu ergreifen, damit sie später dieses Land politisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich mitgestalten können. Es
schöner machen können. Damit sie dafür sorgen können, dass es so erfolgreich und auf internationaler Ebene einflussreich bleibt wie bislang.
Es geht nicht nur um die Art des Bildungssystems, um die kaum überwindbaren Gräben, die es zwischen einzelnen gesellschaftlichen Schichten und den unterschiedlichen Schülerfähigkeiten zieht, es geht auch um die Inhalte. Zum Beispiel die Inhalte des Geschichtsunterrichts, der durchaus ausgrenzende Wirkungen haben kann. Muss ein türkischstämmiger 14-Jähriger mit einem deutschen Pass wirklich das Gefühl vermittelt bekommen, der Holocaust sei ein Teil seiner Vergangenheit, seiner Geschichte? Und wenn dies tatsächlich von ihm erwartet wird, wie lehrt man ihn dann dieses Gefühl? Solche Fragen scheinen die Menschen, die sich Gedanken um die Lehrpläne machen, nicht berührt zu haben – sie müssen aber in einer Einwanderungsgesellschaft, wie wir sie sind, diskutiert werden. Geschichte darf sich nicht zu einem Ausschlusskriterium entwickeln. Wäre es nicht an der Zeit, in den Schulen auch die gemeinsame Geschichte zu unterrichten? Zum Beispiel die der Gastarbeiter, die hierherkamen? Nicht nur, dass damit ein gemeinsamer Nenner in jenen Klassen geschaffen würde, über die man in letzter Zeit so häufig gelesen hat, dass sie sich in Deutsche und Nichtdeutsche spalten würden. Es würde auch denen, die als nichtdeutsch gelten, sich sogar selbst so sehen, helfen, die eigene Identität zu finden und zu stärken, wenn ihnen innerhalb ihres Bildungsweges eine Auseinandersetzung mit ihrer Geschichte und der ihrer Vorfahren ermöglicht wird. Umgekehrt würden solche Unterrichtsinhalte dazu beitragen, viele ungestellte Fragen auf Seiten der »urdeutschen« Schüler zu beantworten, ihnen zum Beispiel erklären, wie es kommt, dass aus deutscher Sicht viele Mitschüler kaum aussprechbare Namen haben, wie sie hierhergekommen sind,
warum sie hierhergehören. Eine offene Diskussion über diese und andere Fragen könnte einer Spaltung entgegenwirken.
In den wiederkehrenden Diskussionen um das leidige Thema Integration geht es auch immer wieder um die Frage, inwiefern gemeinsame Werte vorhanden sind, etwas, worauf man gemeinsam aufbauen kann. Solche gemeinsamen Werte lassen sich in der Schule suchen und finden. Die Betonung liegt auf »suchen«, nicht vermitteln, so wie man den Kindern im Mathematikunterricht den Unterschied zwischen einem gleichschenkligen und einem gleichwinkligen Dreieck vermittelt. Sie folgen keinen mathematischen Regeln und sind nicht in Formeln zusammenzufassen. Es geht darum, nach Verbindungen, nach Gemeinsamkeiten zu suchen – in Gesprächen, Diskussionen und Debatten, in denen man eventuelle Trennlinien thematisiert, bevor manche abgestempelt, in Schubladen gesteckt werden, oft auch seitens der Lehrer. Das gelingt am besten – und macht
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