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Sie kommen!: Ein Blog vom Ende der Welt (German Edition)

Sie kommen!: Ein Blog vom Ende der Welt (German Edition)

Titel: Sie kommen!: Ein Blog vom Ende der Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeleine Roux
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Weihrauches. Und seit diesem Augenblick, seit dem Moment, in dem das Buch in meinen Besitz kam, habe ich nicht mehr schlafen können.
    Versteht mich bitte nicht falsch, ich weiß durchaus, das ist keinesfalls die Hand Gottes, die mir ein Zeichen oder Ähnliches herunterreicht. Als ich zur Schule ging, haben meine Freunde und ich in durchwachten Nächten mit dem Ouijabrett gespielt. Wir fürchteten uns schier zu Tode und starrten mit vor Schreck geöffnetem Mund auf den kleinen Zeiger, als er D-O-D buchstabierte. Das war für uns nah genug dran, um uns die ganze Nacht zu fragen, wer von uns jetzt sterben würde. Jahre später hat mir ein Freund erklärt, warum solche Hexenbretter funktionieren. Winzige, minutiöse Vibrationen der Fingerspitzen übertragen das gewünschte Ergebnis. Natürlich denkt dein Bewusstsein nicht G-E-I-S-T, aber dein Unbewusstes tut es. Das ist alles, was es braucht, um den Zeiger Zentimeter für Zentimeter auf dem Brett zu bewegen.
    Vielleicht war auch hier mein Unbewusstes am Werk gewesen. Vielleicht hatte ich, ohne zu denken, Das Erwachen gegriffen, in meine Achselhöhle geschoben und es an mich gedrückt, fest entschlossen, es um keinen Preis mehr loszulassen. Egal wie, göttliches Eingreifen oder ein Kniff des Unbewussten, das Buch war jetzt jedenfalls meins. Keine Ahnung, warum ich es erst so eifersüchtig bewachte und vor den anderen geheim hielt, dass ich es gefunden hatte. Das ist jetzt vorbei, in den letzten paar Tagen haben wir es herumgehen lassen, und alle haben abwechselnd wieder und wieder darin gelesen.
    Nachdem wir die Beute geteilt und gegessen hatten, zog ich mich in der ersten Nacht, in der ich es hatte, in den Tresorraum zurück, um mit dem Buch alleine zu sein. Ich las es von vorne bis hinten durch und fing wieder von vorn an. Dann wurde ich müde und beschloss schlafen zu gehen. Langsam döste ich ein, das kühle Licht des Monitors fiel auf mein Gesicht und meine Hände, die ich zu einer Wiege für meinen Kopf faltete.
    Vielleicht war es gar nicht das Buch, was die Schlaflosigkeit ausgelöst hat, sondern der Traum. Aber das Buch löste den Traum aus, insofern spielt der ursprüngliche Täter gar keine Rolle. Der Traum ging so: Ich war draußen im Laden mit Ted, schwang meine Axt und sammelte Nahrung ein. Plötzlich erhebt sich etwas hinter mir, kreischt und krächzt wie eine Banshee. Ich drehe mich um, und es ist einer von denen, von den Untoten, und zunächst scheint es Susan zu sein, aber sie ist es nicht. Es ist meine Mom, und sie trägt das verdammte T-Shirt mit der kitschigen Kleinkinderhandschrift …
    Beste Mutti der Welt
    Ich kann mich nicht rühren, nicht aufhören, ihr ins Gesicht zu starren, dabei will ich nur wegrennen. Weg von diesen hohlen, schreienden Augen, die nicht länger die Augen meiner Mutter sind. Ihre Hände krallen nach mir, das Fleisch schon flüchtig, die Knochen schimmern darunter. Durch die wabbeligen Löcher in ihrem Gesicht ist ihr Schädel zu sehen. Sie hat eine Glatze, natürlich, bei der Chemo hat sie vor Monaten ihr Haar verloren, und überall auf ihrem Kopf sitzen abstoßende, purpurne Flecken. Ihre Finger schlitzen mein Hemd auf. Schon reißt sie an meiner Haut, aber ich kann nichts machen. Ich kann sie nicht töten, ihr nicht die Axt in den Hals schlagen, ich halte einfach still und warte und lasse sie mich in Stücke reißen.
    Ich erwache in kalten, schauderhaften Schweiß gebadet. Überall auf dem Tisch glänzen kleine Perlen von Feuchtigkeit, und meine Handrücken sind feucht und schlüpfrig. Der Monitor flackert und fällt für eine Minute aus, dann fixiert die Kamera wieder Susans kopflosen Körper, immer noch da, immer noch in dem T-Shirt.
    Seit dieser Traum endete, kann ich nicht mehr schlafen.
    Und jetzt, während ich dies schreibe, zittern meine Hände, denn ich kann meine Nerven nicht mehr kontrollieren. Meine Augen schmerzen und fühlen sich sandig an, verschwommen und verklebt von Stunden um Stunden, die ich in dieser dunklen, durchwachten Nacht zugebracht habe. Ich bin durch und durch klamm vom Schweiß, und ich weiß, das alles würde vorübergehen, wenn ich mich nur ausruhen könnte. Bloß eine Stunde schlafen, oder vielleicht zwei, aber ich kann nicht. Irgendetwas in meinem Gehirn lässt mich nicht. Ich denke permanent an Schlaf und versuche zu lesen, um mich weiter abzulenken, meinen Geist von der Tatsache abzuschirmen, dass sich nichts ändern wird, wenn der Abend kommt. Ich schließe meine müden Augen und fühle

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