Sie liebt mich, sie liebt mich nicht...
Tragflächen haben mir immer am besten gefallen.« Er trat näher an Dannys Zimmer und schaute an die Decke, als wolle er einen Nahkampf heraufbeschwören. »Ich hatte einen Freund, Geoff Greenaway hieß er. Er war ein richtiger Fanatiker. Er malte sie ganz detailgetreu an. Selbst die Uniform des Piloten hatte die richtige Farbe. Und mit einem winzigkleinen Stück Watte klebte er ihnen Schnauzbärte an.« Er lachte. »Und er höhlte die Kanonen an den Tragflächen aus, damit sie aussahen wie richtige Kanonen. Ich habe schon ewig nicht mehr an ihn gedacht.«
Er sah Danny an. »Ist es nicht seltsam?« fragte er. Danny hatte den Eindruck, daß sein Vater ihn nicht nur nicht sah, er redete auch nicht mit ihm. »Was passiert eigentlich mit Spielsachen? Ich kann mich nicht erinnern, mich jemals von ihnen getrennt zu haben. Irgendwann muß ich es aber doch getan haben, nehme ich an. Irgendwann muß ich sie nach unten geschafft und sie irgendwo hingeräumt haben, oder ich habe sie jemandem gegeben oder weggeschmissen. Aber ich kann mich nicht daran erinnern. Ist das nicht merkwürdig? Wo kommen sie alle hin?«
Danny fiel absolut nichts ein, was er hätte sagen können. Es war, als schnüre ihm etwas die Kehle zu.
Der Vater kam mit ausgestreckten Armen schwankend auf ihn zu. Dannys erste Reaktion war auszuweichen, doch dann ließ er die Umarmung zu und sie taumelten beide ins Zimmer.
»Selbst Erwachsene müssen manchmal in den Arm genommen werden«, sagte der Vater, als sie wieder still standen. Danny legte ihm leicht die Arme um die Taille. Anscheinend tat es dem Vater gut, denn nach einem langen Seufzer trat er einen Schritt zurück, tätschelte Danny den Kopf und sah ihn an, als sei die Verbindung zwischen Augen und Hirn endlich hergestellt.
»Was hattest du vor?«
»Nichts Besonderes.«
Sein Vater nickte und ging zur Tür. Bevor er hinaustrat, drehte er sich noch einmal um. »Vergeude es nicht«, sagte er eindringlich.
»Nein.« Es hätte alles bedeuten können.
Das Lächeln kam wieder. »Gute Nacht, mein Sohn. Und danke für...« Er schaute ins Zimmer. Wieder Flugzeuge — Phantomkämpfe aus der Kindheit. »Danke.« Er schloß die Tür hinter sich.
Danny zog sich aus und legte sich wieder ins Bett. Ihm war übel, aber die Übelkeit saß ganz hinten in einer großen Höhlung, die sich in ihm drehte wie ein leerer Zementmischer.
10
Danny wachte am nächsten Morgen spät auf, und als er unten in der Küche saß, war das Haus leer. Er machte sich eine Schüssel Frühstücksflocken, aß stehend, an die Spüle gelehnt, wusch ab, trocknete ab und räumte alles weg. Er war sich nicht sicher, ob sein Entschluß, sich im Haus nützlich zu machen, von seinem schlechten Gewissen herrührte oder von einem neuen, Lisa-geschaffenen Selbstbewußtsein. Als nächstes war die Arbeitsvermittlungsstelle dran, doch er fand noch eine Reihe von Dingen, die er zuerst erledigen konnte.
Er hörte den Briefträger und ging ohne Erwartung zum Kasten. Danny erkannte Nickys Handschrift sofort. Er nahm den Brief mit ins Eßzimmer, setzte sich an den Tisch und studierte die französischen Briefmarken; den Brief ließ er vorerst ungeöffnet. Ein unbehagliches Gefühl hatte ihn beschlichen. Es schien ihm dem nicht unähnlich zu sein, das ihn beim Betrachten alter Fotos überkam, auf denen er irgendwelche dummen, kindischen Sachen machte. Wie das eine von Weihnachten, worauf er sich als Knecht Ruprecht verkleidet hatte, oder das von seinem siebten Geburtstag, worauf er eine Menge Holztiere von seinem Bauernhof um sich herum aufgebaut hatte.
Er riß den Umschlag auf. Es war ein langer Brief. Drei Seiten mit Informationen über das Essen im Flugzeug, Flughäfen, französische Busse und Toiletten sowie über das Hotel, in dem sie untergebracht waren. Perpignan lag ein Stück im Landesinnern, und sie hatten sich alle eine Wochenkarte für den Bus zum Strand von Canet gekauft. Nicky hatte bereits fünf verschiedene Sorten Eis probiert. Am Strand sahen sie neben den Einheimischen aus wie Brühwürste. Es wimmelte von Nordfranzosen und Deutschen. Offenbar gab es im untouristischen Teil der Stadt ein altes Schloß, das die Familie besichtigen wollte. Es war windig, aber nicht zu sehr, allerdings wurde der Sand meist doch herumgeweht.
»Halt die Ohren steif und fang mit dem Streichen an. Alles Liebe. Nicky.« Der Brief endete mit sieben Küssen.
Zwölf Küsse weniger als auf der Postkarte, dachte Danny. Vielleicht wirkt sich Entfernung negativ auf
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