Sie nennen es Leben
einer Zeit auf, in der die einzige Möglichkeit, mit seinen Freunden über Distanz zu kommunizieren, die Festnetznummer der gesamten Familie war. Allzu oft hatte man damals zuerst die Eltern am Apparat, die sich je nach Länge und Tonlage des Telefonats ein ziemlich gutes Bild davon machen konnten, welche Bedeutung das Gespräch und der Anrufer hatten.
In Zeiten von Handys und Instant Messaging gibt es diese Möglichkeit zum beiläufigen Einblick in das Privatleben von Kindern nicht mehr. Online-Chats verlaufen stumm; um sich zu verabreden, reicht eine SMS auf dem Schulweg. Für Eltern ist deshalb die Versuchung groÃ, die Mediennutzung ihrer Kinder zu überwachen. Doch wenn Kinder und Jugendliche eines heutzutage nicht brauchen, dann ist es noch mehr Kontrolle.
Die schlechteste Mutter Amerikas
Wenn man bei Google die Worte » Americaâs worst mom « (die schlechteste Mutter Amerikas) eingibt, sind die ersten Dutzend Seiten einer einzigen Frau gewidmet: Lenore Skenazy. Skenazy ist eine 50 -Jährige Journalistin, deren Kolumne in über hundert Zeitungen in den USA abgedruckt wird. Sie hat in Yale studiert und wohnt mit ihrem Mann und ihren zwei Söhnen im New Yorker Stadtteil Queens. Womit sie den Titel » schlechteste Mutter Amerikas « verdient hat? Sie hat ihren Sohn Izzy allein in der New Yorker U-Bahn fahren lassen.
Der damals 9 -Jährige hatte seine Eltern mehrmals darum gebeten, einmal allein nach Hause fahren zu dürfen. Skenazy und ihr Mann berieten sich, und an einem warmen Sonntag im Frühling 2008 fuhr die Familie schlieÃlich nach Manhattan. Im Edel-Kaufhaus Bloomingdale drückten die Eltern Izzy einen Stadtplan, ein U-Bahn-Ticket, 20 Dollar und ein paar Münzen für eine Telefonzelle in die Hand und verabschiedeten sich. Eine Stunde später stand Izzy unbeschadet vor der Haustür und war begeistert von der eigenen Unabhängigkeit. Skenazy schrieb eine Kolumne darüber und dachte, die Geschichte wäre damit vorbei. Zwei Tage später fand sie sich zusammen mit Izzy als Gast in der » Today Show « , der beliebtesten Sendung im US-Frühstücksfernsehen, wieder, und Moderatorin Ann Curry stellte Skenazy den 4 , 9 Millionen Zuschauern mit den Worten vor: » Ist sie eine aufgeklärte Mutter oder eine wirklich schlimme? «
Drei Jahre, unzählige Zeitungsartikel und Blogeinträge später ist Skenazy eine gefragte Erziehungsexpertin. Sie bloggt auf freerangekids.wordpress.com über absurde SchutzmaÃnahmen wie Knieschützer für Babys und hat mit ihrem Buch » Free-Range Kidsâ How to raise safe, self-reliant children (without going nuts with worry) « (in etwa » Freilaufende Kinderâ Wie man sichere, selbstständige Kinder aufzieht (ohne vor Sorgen durchzudrehen) « ) einen kleinen Bestseller gelandet. Ihre Geschichte illustriert nicht nur, welche exzessiven AusmaÃe elterliche Fürsorge teilweise angenommen hat. Das Thema, das Skenazy angeschnitten hat, hängt direkt damit zusammen, warum Jugendliche heutzutage so viel Zeit im Internet verbringen: Es gibt kaum mehr Räume, die nicht von Erwachsenen kontrolliert werden.
» Facebook ist fast so eine Sucht für mich « , sagt Lena. Die 15 -Jährige meldete sich an, als ihre Freundin Marie zum Schüleraustausch nach Australien ging und am besten über das internationale Social Network zu erreichen war. Kurze Zeit später wechselten viele von Lenas Mitschülern ebenfalls von SchülerVZ zu Facebook. » Ich glaube, ich habe damit angefangen « , sagt die Gymnasiastin. Es klingt ein wenig stolz.
Auch sonst ist Lena souverän im Umgang mit Medien. Auf ihrem selbst gekauften Netbook schreibt sie Kurzgeschichten, die sie gelegentlich bei Wettbewerben einreicht. Vor einem Jahr experimentierte sie vorübergehend mit einem eigenen Modeblog. Wenig begeistert ist Lena hingegen davon, dass nun auch ihre Mutter das Internet für sich entdeckt hat. » Letztens hat sie mich gefragt, ob sie sich nicht auch bei Facebook anmelden soll « , erzählt Lena. » Ich habe ihr abgeraten. Ich will sie nicht als Facebook-Freundin haben, das würde sich komisch anfühlen. «
Lenas Bedenken sind gerechtfertigt. Was passieren kann, wenn die Eltern zu Facebook kommen, zeigt die Seite myparentsjoinedfacebook.com. Die US-Amerikanerinnen Jeanne und Erika Brooks Adickman sammeln auf der Website Screenshots von Facebook-Dialogen, in
Weitere Kostenlose Bücher