Sie nennen es Leben
Verbot oder Zensur einsetzen werden « , schreibt Springhall. » In der Folge wird das Interesse abebben, bis ein neues Medium die öffentliche Debatte wiederbelebt. Jede neue Panik wird sich dabei so entfalten, als würde die Problematik zum ersten Mal in aller Ãffentlichkeit debattiert. Dabei ähneln sich die Debatten verblüffend. «
Tatsächlich wurde mit Worten und Argumenten, die sich fast deckungsgleich in der aktuellen Debatte um die Digitalisierung wiederfinden, in den vergangenen hundert Jahren immer wieder gegen die bei Jugendlichen beliebtesten Medien agitiert. 1896 empörte sich etwa der deutsche Pädagoge Heinrich Wolgast in einer berühmten Streitschrift über » Das Elend unserer Jugendliteratur « : » Was dem Kinde eine Lust war, in körperlicher Arbeit seine Kräfte und seine Sinne, ja seinen Geist zu gebrauchen, wird ihm zur Qual; es wird unlustig zu Spiel und Arbeit, und selbst der Unterricht hat nur selten den Vorteil von der alle Kräfte absorbierenden Lektüre. «
Wolgast formuliert damit einen fast klassischen Katalog an Einwänden gegen neue Jugendmedien: sie binden zu viel Aufmerksamkeit, zwingen zu Passivität und lassen Jugendliche den Anschluss ans Alltagsleben verlieren. Eines der Bücher, die Wolgast besonders herausgriff, war übrigens Else Urys » Nesthäkchen « â heute ein eher biederer Klassiker der Jugendliteratur.
Dass neue Medien den moralischen Werteverfall unter Jugendlichen beschleunigen, war in den 1950 er Jahren ein bestimmendes Motiv. Comic-Hefte gerieten damals ins Zentrum der Kritikâ vor allem durch den kämpferischen Einsatz des deutschstämmigen Psychologen Fredric Wertham. Sein Pamphlet » Seduction of the Innocent « (Verführung der Unschuldigen) wurde zur Grundlage etlicher Gesetzesinitiativen zur Zensur von Comics. Diese traten zwar nie in Kraft, trotzdem erschütterte Werthams Kreuzzug die Comic-Industrie. Viele Zeichner verlieÃen die Branche, weil sie die Stigmatisierung ihrer Arbeit nicht ertrugen.
Werthams zentrales Argument war, dass Comics Kindern Handlungsanleitungen für Verbrechen und sexuelle Ãbergriffe lieferten. » Vor der Comicbuch-Ãra waren die sexuellen Spiele von Kindern selten von Brutalität, Gewalt oder Sadismus gekennzeichnet « , schrieb er in einem seiner zahllosen Zeitungsartikel, mit denen er seinen Ruf als wichtigster Experte in der Debatte um Comics aufbaute und untermauerte. » Heutzutage kommt das nur allzu häufig vor. Wenn sexuelle Fantasien bei Hunderttausenden von Kindern (durch explizite Darstellungen in Comics) stimuliert werden, ist es unausweichlich, dass einige ihre Fantasien ausleben werden. « Diese Argumente werden uns in der Debatte um Online-Pornografie und Websites wie YouPorn später erneut begegnen. Ansonsten ist von Werthams Werk vor allem eines geblieben: seine Kritik an Batmans Lebensumständen. Wertham vermutete nämlich, dass Batman und sein Gehilfe Robin ein Paar seien und heranwachsende Comicleser somit unterschwellig zur Homosexualität verführt würden.
Jenseits dieser skurrilen Auswüchse bleibt eine Frage: Warum wiederholt sich der Streit um neue Medien so unermüdlich?
Warum es beim Streit ums Internet nicht ums Internet geht
Der Historiker Springhall, von dem das Beispiel der » penny gaffs « stammt, sieht den Ursprung dafür in einem Machtkonflikt zwischen Jugendlichen und Erwachsenen, der stets mit dem Aufstieg eines neuen Mediums einhergehe. Durch ihre Mediennutzung würden junge Menschen oft beiläufig technische und kulturelle Kompetenzen erwerbenâ jedenfalls in der Wahrnehmung der Erwachsenen. Diese würden den vermeintlichen Kompetenzvorsprung der Jugendlichen als Bedrohung ihrer eigenen Machtposition empfinden und deshalb gegen das neue Medium in Form von » Medienpaniken « mobilisieren.
» Medienpaniken können dabei behilflich sein, den Status quo zwischen den Generationen, den die avancierte kulturelle Positionierung von Jugendlichen untergraben hat, wiederherzustellen « , schreibt Springhall. Ins Visier genommen würden dabei Gewalt- und Sexdarstellungen in den Medien, die Jugendliche am intensivsten nutzen. Die von Erwachsenen bevorzugten Medien wären dagegen von Kritik ausgenommen.
Sieht man sich die Debatten um die Verbreitung von Pornos im Internet an, bestätigt sich dieser Befund: YouPorn, eine der beliebtesten Porno-Websites
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