Sie nennen es Leben
als auch auÃerhalb des Elternhauses sind die Optionen für Kinder und Jugendliche, sich Sozialräume zu erschlieÃen, aber deutlich weniger geworden. Das liegt in der Entwicklung moderner Städte begründet, hat aber auch direkte Auswirkungen auf das Verhältnis von Eltern und Kindernâ und damit den Streit ums Internet.
Nach dem Zweiten Weltkrieg waren die Wohnverhältnisse vielerorts in Deutschland katastrophal. StraÃenzüge lagen in Trümmern, im Wohnzimmer schlief die ganze Familie. Kindern boten die zerstörten Städte aber ungeahnte Freiheiten: Auf den StraÃen fuhren kaum Autos, mit ein paar Kreidestrichen lieà sich schnell ein Himmel-und-Hölle-Raster zeichnen. Spielzeug fand sich in den Trümmerbergen, allerdings in Form von zerbeulten Rohren und kaputten Tischen. Spielplätze oder Kinderzimmer waren damals die Ausnahme; ein GroÃteil des Kinderlebens fand auf der StraÃe statt. Auf ihr erfuhren Kinder, was der Pädagogik-Professor Rainer Treptow über zeitgenössische StraÃenkinder schreibt: Die StraÃe ist für sie » ein Ort der Aufregung, des Abwechslungsreichtums, der Eindrucksvielfalt, des Kontakts, der Kreativität und Gestaltung, des Handelns, ein Ort der sozialen Nähe und Erfahrung « .
Doch damit war zu Beginn der 1960 er Jahre Schluss. Die Trümmerfelder waren geräumt, die innerstädtischen Brachflächen wurden erschlossen, und das Verkehrsaufkommen stieg sprunghaft an. Kinder und Jugendliche spielten in der Stadtplanung der Zeit keine Rolle; wo sie sich früher getroffen hatten, standen plötzlich Ampeln und fuhren Autos. Ihnen blieben nur einige gesonderte Räume übrig: drinnen das Kinderzimmer, drauÃen der Spielplatz.
Der Trend zur sogenannten Monofunktionalität von Räumen betraf aber nicht nur Kinder, sondern auch Erwachsene. Denn gleichzeitig entstanden viele Trabantenstädte, die allein zum Wohnen gebaut wurde. Der Arbeitsplatz war in der Innenstadt, die besten Einkaufsmöglichkeiten bot das neue Einkaufszentrum. » Kinder werden so in Binnenräume gedrängt, von Erwachsenen entmischt « , beschreibt der Geograf Christian Reutlinger die Entwicklung. » Kindheit wird mehr und mehr verhäuslicht und institutionalisiert. «
Für Kinder und Jugendliche stellte sich die Welt mehr und mehr wie eine weitläufige Inselgruppe dar: hier die Wohnung, dort die Schule, ein bisschen näher dran der Spielplatz, etwas weiter weg der Sportverein. Eigenständig erforschte Verbindungen zwischen den einzelnen Inseln gab es kaum noch. War die Strecke zwischen einzelnen Inseln besonders weit, wurden die Kinder von den Eltern gefahren. » Verinselter Lebensraum « , schreibt die Soziologin Helga Zeiher in ihrem berühmten Aufsatz » Die vielen Räume der Kinder « , » kann nicht als sinnliche Einheit erfahren werden, sondern nur als abstrakte gedacht werden. « Damit wurde auch spontanes Handeln immer schwieriger, denn es musste immer erst der entsprechende Spezialraum aufgesucht werden. » Was, wann und wo getan wird, muss vorab geplant sein « , schreibt Zeiher. » Der Stückelung des Raums entspricht so auch eine Stückelung der sozialen Beziehungen. «
Dieses Muster veränderte sich auch in den 1970 er Jahren kaum. Zwar wurde infolge der gesellschaftlichen Liberalisierung erkannt, dass auch Heranwachsende ihre Freiräume brauchen. Doch die Einrichtung von Jugendzentren und Abenteuerspielplätzen folgte der Logik, dass jeder Raum eine bestimmte Funktion haben muss: Selbst Abenteuer hatte jetzt seinen eingezäunten Platz in der Stadt. Damit war nach Zeiher der Widerstand von Kindern garantiert. Es zeige sich, » dass Kinder fertigen Handlungsangeboten, zum Beispiel hergerichteten Spielplätzen, auszuweichen suchen, und dass Kinder, für die es keine Ausweichorte gibt, versuchen, gewaltsam Monofunktionalität aufzubrechen, Räume zu öffnen, und sei es nur symbolisch durch das Beschmieren von Wänden. «
Kindern und Jugendlichen stehen also immer weniger Räume zur Verfügung, die nicht von Erwachsenen kontrolliert werden. Ãberwachungskameras sind auf nahezu allen öffentlichen Orten sowie in den Bussen und Bahnen des öffentlichen Nahverkehrs installiert. In den USA sind sogar » curfews « , offizielle Ausgehverbote für Jugendliche, weit verbreitet: Sie gelten in über 500 Städten, darunter fast allen
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