Sie sehen aber gar nicht gut aus!
Frage der Zeit, bis ihr Herz stoppen und ihr junges Leben zu Ende sein würde. Wir wussten das.
Die Ermittlungen der Polizei ergaben später, dass der Schütze zunächst seine Geliebte durch einen Kopfschuss hingerichtet hatte. Anschließend hatte er auf den Lieferwagen geschossen, der rein zufällig in dem Moment dort vorbeigekommen war, und den Fahrer am Hals getroffen. Danach war der Psychopath weiter zu seiner Ehefrau gefahren und hatte auch diese durch einen Schuss ins Gesicht getötet. Anschließend hatte er sich selbst umgebracht und so seinen armseligen und feigen Amoklauf beendet. Das »Warum« nahm er mit ins Höllenfeuer.
Jetzt steht ein Holzkreuz an der Stelle, an der er den ersten Schuss abgefeuert und getroffen hat. Die Intarsien der Bretter erinnern mich an meine Grundschulzeit, weil meine Schrift damals noch so schön geschwungen war. Serifenreiche Buchstaben prägen die Mitte des Querbalkens wie ein Relief. Ihr Name war Marie. Wenn ich zufällig an dieser Stelle vorbeifahre, flackern jedes Mal einige Grablichter auf dem Balken. Irgendjemand kommt noch immer sehr oft hierher – dabei ist das Geschehene schon 13 Jahre her. Für mich eine halbe Ewigkeit.
Manchmal werde ich gefragt, was ich dabei so dachte. Immerhin war es für Lenny und mich der erste Einsatz dieser Art. Ich weiß es nicht. In der Magengegend blieb zunächst nur das miese Gefühl eines Einsatzes zurück, bei dem ich machtlos hatte dabei zusehen müssen, wie Ungerechtigkeit geschah. Ich glaube, ich habe überhaupt nichts gedacht, sondern die Eindrücke in mich aufgesogen wie ein trockener Schwamm das Wasser. In dem Moment war ich in einer Blase aus unzerstörbarem Material gefangen, in der die Zeit für einen Augenblick stillstand und Geräusche zu einem Einheitsbrei zusammengematscht wurden. Ich registrierte Sprache, konnte das Gesprochene aber niemandem mehr zuordnen. Und der Algorithmus Traumamanagement lief unaufhaltsam vor meinem geistigen Auge ab und zwang mich zum Handeln.
Auch wir als Einsatzkräfte hätten damals in Gefahr sein können. Martin hatte mir später berichtet, dass einige Schaulustige bei seinem Eintreffen vor Ort gewesen waren und in großem Radius um die Frau herumgestanden hatten. Nur ein einziger Passant hatte sich neben sie gekniet und sich anscheinend um die Angeschossene gekümmert. Martin hatte sich damit zufriedengegeben, dass der Passant gerufen hatte, dass der Täter geflohen sei. Die Polizei war damals noch nicht da gewesen, und oberste Priorität hat eigentlich immer die Eigensicherung der Retter. Was wäre gewesen, wenn dieser Passant der Täter gewesen wäre? Was, wenn der Mann die Waffe und genügend Munition bei sich gehabt hätte? Mich fröstelt, wenn ich daran denke.
Der Beifahrer des Lieferwagens blieb übrigens als Einziger unverletzt. Glück gehabt? Er lebt – ja. Aber die Traumatisierung, die er an diesem Tag erhalten hat, wird Therapeuten zukünftig an den Rand ihres Könnens bringen. Lebenslang.
Sonderrechte
Wenn Sie einen Rettungswagen steuern, sehen Sie die Welt mit anderen Augen. Sie haben es in der Regel eilig. Ihnen geht es nicht nur darum, eine Pizza auszuliefern oder ein Paket zum Empfänger zu bringen, wobei ich diese Berufsgruppen damit keineswegs abqualifizieren möchte. Aber Sie haben es in einer Notfallsituation nun einmal etwas eiliger. Für Sie dreht es sich in dieser Situation um einen Menschen, der sich unter Umständen in genau diesem Moment in Lebensgefahr befindet. Dafür steht Ihnen auch ein spezielles Werkzeug zur Verfügung – der Rettungswagen. Dessen sinnvolle Benutzung erfordert nicht mal eben einen eintägigen Erste-Hilfe-Kurs, sondern eine umfassende medizinische Ausbildung.
Der Rettungswagen, auch RTW oder Sanka genannt, ist ein großes, mächtiges und lautes Fahrzeug mit einer ausgefallenen Lackierung – wir möchten schließlich auffallen. Kein bloßes Blassgrün oder Hellbraun, sondern auffälliges Weiß mit Streifen in rotem Sonderlack, für dessen Verwendung man eine spezielle Zulassung benötigt. Die vier in den Ecken angeordneten Blaulichter sollen mit Rundum-Leuchtkraft und großer Reichweite noch mehr der geschätzten Aufmerksamkeit des Autofahrers auf deutschen Straßen auf sich ziehen. Das Martinshorn bekräftigt mit einem in dreieinhalb Meter Entfernung gemessenen Schalldruck von 120 Dezibel den Wunsch des Retters, möglichst schnell an seinen Einsatzort zu gelangen. Paragraf 38 der Straßenverkehrsordnung beschreibt den Vorrang von
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